Die Nacht der Haendler
verrücktes Gebilde. Sollte es irgendeinen Sinn haben außer dem, im Betrachter Verstörung hervorzurufen, so verschloss er sich mir. Wieder und wieder lief ich um das Geviert aus Farbe und Tod. Fragte mich nach dem inneren Aufbau der Pyramide. Nach der Bedeutung. Da klang vom See her die Glocke, derselbe Ton, den ich in dem kleinen Kasten am Ufersteg ausgelöst hatte, und ich lief aus dem Allerwirklichsten , am Totenhain, am Haus vorbei, den Weg hinunter zu den Kopfweiden, sah Stieftaal im Kahn, schon abgelegt von der Insel, und drüben Anna, ihn erwartend, mit zwei Körben zu ihren Füßen. Sie hatte den Glockenton ausgelöst, um Stieftaal zu rufen. Doch warum hatte er sich bei meiner Ankunft im Haus verborgen? Warum hatte er mir die Türen zum Puppensaal und zum Oktogon geöffnet? Ich sah seine Mönchsgestalt auf dem Brett am Heck stehen und mit ruhigen Ruderschlägen über den See steuern, und obwohl ich mir sicher war, dass er Anna herüberholen würde, hatte ich das Gefühl, ich müsste von nun an allein auf dieser Insel bleiben, mit den Schmetterlingen, den Puppen, den drei Gräbern, den Gestalten der deutschen Sage. Ich war in diesem Augenblick töricht genug, mir Alarichs Tarnkappe zu wünschen. Sie werden das kurios finden: Ich wünschte mir dies, ein Mann, der von allen am wenigsten taugt, sich mit Siegfried gleichzusetzen.
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DIE HITZE IST HEUTE SO GROSS, dass meine Hunde das Haus nicht verlassen wollen. Betont mühsam und gelangweilt sind ihre seltenen Gänge nach draußen, um oberhalb des Hauses von Signora Scalfa in den Olivengärten ihr markiertes Gebiet aufzusuchen, sich dort zwischen Bäumen und Büschen zu lösen, um gleich darauf wieder schneller zurückzukehren in den unteren Teil meines Hauses, wo der Steinboden kalt ist und wo der Wassernapf steht. Ich bin glücklich. Charisia Scalfa kam gestern zu mir, am Abend. Wir müssen nicht lange reden, trinken einige Gläser Roten, legen uns dann zueinander. Ab und an brauchen wir dies. Und die Vernunft des Alters bestimmt uns, dass jeder die Freiheit hat, seinem Rhythmus gemäß den andern aufzusuchen. Der Vorteil unseres seelisch ungeklärten Verhältnisses ist, dass wir einander vertrauen. Ich will Sie nicht langweilen mit der einigermaßen umständlichen Geschichte des Anfangs, Ihnen nur mitteilen, dass es auch ein so schweigsames Glück gibt. Am Morgen, das hat sich unabgesprochen so ergeben, sind wir dann jeweils vor dem Frühstück aus dem Bett des andern verschwunden. Ein gemeinsames Frühstück wäre uns unerträglich. Charisia ist eine besonnene, einsam lebende Frau, ich ein Phantast, der dennoch nicht das Zeug hat, zum Irren des Dorfes zu werden. Diese Rolle hält Ludovico. Ich bin sicher, dass Charisia mir treu ist. Ich ihr ohnehin. Sie ist größer als ich, um eine Kopflänge. Alles an ihr ist natürliche Würde, nichts elegant. Begabung vielleicht. Oder Schicksal. Die pechschwarzen Locken (ich glaube, sie färbt ihr Haar), der ruhige Blick, das immer entspannte Gesicht, in dem ich umherschweifen kann, schweigend, von ihr gerne geduldet, in dem ich gehalten werde von den im Schatten liegenden Augen, der großen Nase, griechisch, den dunklen Lippen. Auch ihre Haut hat den südlichen Farbton, poliertem Olivenholz ähnlich. Ich ahne, dass sie früher wohl einen strengen, vielleicht abwehrenden Ausdruck zur Schau getragen hat, den aufzugeben ihr das Alter erleichterte. Ich weiß nichts von ihrer Geschichte. Sie nichts von meiner. Sie kommt ungeladen, bringt Ziegenbraten; oder ich komme zu ihr, bringe Käse und Wein. Die Nächte sind, weil wir sie dem Zufall überlassen, mit der unverschämten Wildheit des Alters gesegnet. Vermutlich liegt viel daran, sämtliche Wünsche zu kennen und erfahren genug zu sein, um keinen einzigen mehr verbergen zu müssen. Auf so lapidarer Ebene begegnen wir uns und sind dennoch mehr als nur zwei Körper, die einander ergänzen. Warum ich Ihnen dies schildere? Um Sie gierig zu machen natürlich. Und eifersüchtig. Ich will, dass Sie wissen: Ich habe Ihrem Reichtum etwas entgegenzusetzen, denn Gott ist gerecht. Kein Zweifel, gerecht ist er. Unendlich gerecht. Auch wenn ich nicht weiß, wie Sie leben, ferner reicher Freund – eins nehme ich als sicher an: eine Signora wie Charisia Scalfa kennen Sie nicht. Und nicht die Freiheit, die eine so selbstbewusste Frau um sich verbreitet. Sie schrieben mir nicht, ob Sie verheiratet sind. Ich setze es voraus. So viel Kapital braucht Ehe. Aber ich stelle mir auch vor: Geld
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