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Die Nacht der Haendler

Die Nacht der Haendler

Titel: Die Nacht der Haendler Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gert Heidenreich
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Beide Empfänger wussten, was dies Menetekel bedeutete: Irgendwer war ohne Befugnis in das ETERNITY -Programm in Falling eingedrungen und hatte den Doktor der Philosophie Boris Reeper, den die Welt einst als Großen Antimago kannte, geweckt. Ob sich der Eindringling der Gefahr bewusst war, die er dadurch heraufbeschworen hatte, spielte keine Rolle. Der Antimago selbst sah offenbar sein Überleben bedroht und leitete weltweit die für eine solche Lage vorgesehenen Maßnahmen ein.
    Ob Sie mir nun glauben wollen oder nicht: Ich sah, was geschah. Ich blickte auf weit entfernte Orte, in denen die Nachricht empfangen wurde. Ich hörte, ich spürte, ich wusste, was dort vorging. Ich habe Ihnen ja in meinem ersten Brief von dieser nicht immer bequemen Gabe berichtet, die offenbar Teil meiner erzählerischen Neigung ist und deren innere Wirkungsweise ich nicht ergründen will. Selbstverständlich erhebe ich auch keinen Anspruch auf Wahrheit. Ich bitte Sie nur, meinen Schilderungen der Ereignisse, bei denen ich nicht anwesend war, ebenso vertrauensvoll zu folgen wie der Beschreibung meiner unmittelbaren Erfahrung. Auch kann ich nicht ausschließen, dass es der Antimago selbst war, der mir mittels einiger seiner Techniken, die mir im einzelnen kaum erklärlich, allenfalls in Spekulationen darstellbar wären, gezielt den Einblick in die Folgen meines unerlaubten Eindringens in seine Speichereinheiten ermöglichte. Sie wissen, dass es auch damals bereits die Theorie interaktiver Wellen gab, aus der sich eine unmittelbare Information des Gehirns herleiten ließ, ohne dass der jeweilige Empfänger seine Sinne bewusst gebraucht hätte. In alten Zeiten nannte man das telepathische Information, heutzutage haben wir dafür andere, rationalere Bezeichnungen wie »Ungleichzeitige Gleichzeitigkeit« oder »Unbewusste Bewusstheit« oder, mit dem Oberbegriff der Geheimdienste, die »Implantation der zeitlichen und räumlichen Ferne«, womit, meiner Ansicht nach allzu metaphorisch, die Außensteuerung unserer Assoziationen gemeint ist. Es gibt ja keine größere Sehnsucht von Manipulatoren als die gezielte Besetzung des unbewussten Erlebens. Mir ist all das, um es klar zu sagen, scheißegal. Auch wenn ich zugebe, dass die physikalische Besetzung und Lenkung der Phantasie das eigentliche Projekt der Zukunft ist. Als ich eingedrungen war in das tote Herz des Antimago, hatte er jedenfalls seine Kombattanten aktiviert, und es mag zu seiner List gehört haben, dass er mich an seinem Ruf teilnehmen ließ. Er wiegte mich in der schönen Empfindung, Gott ähnlich zu sein in unbegrenztem Überblick, um mich am Ende doch seiner Begrenzung zu unterwerfen.
    So, mein Freund, sah ich also, was der ausgesandten Meldung ETERNITY INVADER. NO PERMIT an entgegengesetzten Enden der Welt folgte: Der eine der beiden Empfänger saß am Schreibtisch im Wohnzimmer seines Hauses an der amerikanischen Westküste, Los Angeles, Malibu, Heathercliff, Dume Drive 286, einem Haus, das ich gut kenne, blickte durch die Glaswand hinaus in den sich anschließenden überdachten Patio, und weiter durch dessen äußere Scheiben auf das glitzernde Rechteck seines Schwimmbads, über dieses hinweg in den sich dem Pazifik zuneigenden Canyon, in dessen Ausschnitt am Horizont azurblau der Ozean ruhte, unter dem gleichfalls azurblauen, nur ein wenig helleren Morgenhimmel. »Mermaid’s Triangle« hatte der Betrachter den von seinem Haus aus sichtbaren Winkel Pazifikwasser getauft, und wann immer er an seinem Schreibtisch die Augen vom Computer abwandte, traf das blaue Dreieck zwischen den braunen Schenkeln des Canyon den Zweiundsiebzigjährigen wie das Bild ferner Jugend. Ein Mann, von dem sich mehr sagen ließ als üblicherweise von alten Leuten. Fast zwei Meter groß, hager, kahlköpfig, eine Physiognomie, die ebenso gut ins indianische wie ins arabische oder jüdische Klischee passte, ein von Flugangst geplagtes Herz, einst Antimagist und Doppelagent in Diensten des Rank -Konzerns, als Physiker Autodidakt, Frühaufsteher, Renegat, seit zwei Jahrzehnten befreundet mit mir, einem der wenigen anderen Deutschen an diesem Abschnitt der Küste. Sein für Amerikaner unaussprechlicher Name Jens Jakob von Tonnda hatte ihm die Kurzform J. J. – »Dschejdschej« – eingetragen, und wer zu ihm höflich zu sein Grund hatte, nannte ihn Sir Dschejdschej. Immerhin nötigten seine über zweihundert Erfindungen auf dem Gebiet des Kleinen und des Großen Lichts auch akademischen Giganten wie dem

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