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Die Nacht der Haendler

Die Nacht der Haendler

Titel: Die Nacht der Haendler Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gert Heidenreich
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Die Morde, die er für den Sieg des Antimagismus begangen hatte, addierten sich in seiner Seele zu einem entsetzlichen Register; und er sah sich bereits vor einem Gericht, dessen Urteil für die Ewigkeit gesprochen würde. Keine Magie konnte ihm helfen, kein Mondtanz ihn erleichtern, keine Idee ihn rechtfertigen. Was ihm blieb, war, mir sein Leben zu erzählen und durch mich eine, wie er meinte, »gute Tat« zu bewirken – die Löschung des Antimago. Sie wollte er in die Waagschale legen. Über seine Gefängnisjahre ging er mit zwei Sätzen hinweg. »Eine elende Zeit. Ich habe sie vergessen.« Reeper hatte ihn nach dem Überschlag des Antimagismus von den USA auf Europa zufällig in einer Versammlung entdeckt und ihn zu seinem Vertrauten gemacht. »Nicht weil er mich in irgendeiner Weise besonders geeignet fand. Sondern weil meine Frau ihm gefiel. Und meine kleine Tochter.« Stieftaal stieg rasch in den innersten Kreis auf, verfügte plötzlich über Geld. »Und ich merkte nicht, dass Reeper, mein Förderer, mein Vorbild, mein Gott, mich immer tiefer in den Dreck stieß, bis ich nicht mehr raus konnte. Dann ließ er mich fallen, ich flog auf, natürlich bezahlte er meinen Anwalt, aber er schickte auch die Zeugen der Anklage … Die zwölf Jahre, die ich saß, hat er gut genutzt. Meine Frau ließ sich scheiden – und wurde bald darauf Elisabeth Reeper … Und Anna, mein kleines Mädchen …« Ich erschrak, wagte aber nicht zu fragen. »Im Knast lässt man sich leicht überreden. Ich habe der Adoption zugestimmt. Anna sollte es gut haben. Sie war kurz nach ihrer Geburt blind geworden, und Reeper redete mir ein, es gebe irgendeine komplizierte, teure Operation, die er bezahlen würde, wenn ich ihm Anna als Tochter ließe. Alles gelogen. Der Scheißkerl hat mir gestohlen, was ich geliebt habe. Ich hatte Zeit nachzudenken, zwölf Jahre, jede Nacht. Ich redete mit ihm. Ich kämpfte mit ihm. Ich sah ihn in meiner Zelle. Halten Sie mich meinetwegen für verrückt – aber er stand da und verwandelte sich vor meinen Augen in einen Engel. Er hatte ein gütiges Gesicht. Er tröstete mich. Er versprach mir ewigen Ruhm. Ich konnte um ihn herumgehen. Und ich konnte sehen, dass der Engel auf seiner Rückseite brannte, und zwischen seinen weißen Flügeln wuchs aus dem Feuer der Kopf einer Hyäne heraus, die nach mir schnappte. Da wusste ich, dass er der Satan ist. Glauben Sie mir. Er ist der Satan. – Sie fragen sich, warum ich zu ihm zurückging?
    Was hätte ich sonst tun sollen? Es war die einzige Möglichkeit, in Annas Nähe zu sein – und zu sehen, wie Reeper Elisabeth demütigte … das hat mir Freude gemacht.« Je mehr er trank in dieser Nacht, um so nüchterner schien er zu werden. Er erklärte mir die komplizierte Kommunikationstechnik des Hauses, die er – nachdem die Insel von einer antimagistischen Schokoladefabrikantin dem Großen Antimago überschrieben worden war und Reeper sich entschlossen hatte, dort zu leben – selbst angelegt hatte. »Wir haben hier zwei Jahre lang umgebaut. Ich weiß nicht mehr alles, ich weiß nur, dass die Küche der einzige Raum ist, den Reeper nicht sieht und nicht hört.« Er sprach von der vierfach ausgelegten Stromversorgung, zeichnete mit fahriger Hand unsichtbare Pläne auf die Tischplatte, ich begriff keine Einzelheiten, doch so viel, dass es eine Verbindung zwischen Annas Gewächshäusern in Falling und der Insel gab; dass es unmöglich war, die Solaranlagen zu unterbrechen, ohne die Wände des Hauses aufzustemmen und die darin eingebauten Batterien zu zerstören. »Geben Sie sich keine Mühe, die Systeme sind sämtlich mehrfach ausgelegt, die Datenverbindungen nach außen über Luft und Kabel ebenso wie die Stromversorgung durchs allgemeine Netz, die Sonne, Generatoren und die innere Wärme der Insel. Die Energie dieses Hauses können Sie nur abschalten, wenn Sie alles in die Luft jagen. Ich bin ein sehr guter Techniker gewesen. Und Reeper hat seit Abschluss der Arbeiten nichts anderes getan als an seinen Rechnereinheiten, seinen Puppen im Speisesaal und an seiner Pyramide im ›Allerwirklichsten‹ zu basteln. Lassen Sie sich nicht täuschen vom Alter der Maschinen. Es gibt einen vorab bezahlten Wartungsvertrag über hundert Jahre mit Compusec Zürich. Sie halten die Programme ständig auf dem Laufenden, sie speichern von Zürich aus jedes Update ein, sie kopieren jede Veränderung und bewahren sie auf, und Reeper gibt aus seinem Programm heraus Zusatzaufträge und

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