Die Nacht Der Jaegerin
Wohnzimmertür stand und verzweifelt sagte:
«Ich dachte, sie wäre hier. Ich kann einfach nicht glauben, dass sie uns für immer verlassen hat.»
Lucy Devenish: für Jane eine Art selbsterwählter Tante und für Lol eine Beraterin in der Lebenskrise. Lucy hatte ihn mit dem inspirierenden Dichter Thomas Traherne bekannt gemacht, der im siebzehnten Jahrhundert in Herefordshire gelebt hatte, und indirekt auch mit Janes Mutter, Hochwürden Watkins.
Lucy in ihrem Poncho mit einem Gesicht wie ein alter Indianer und einer Aussprache wie eine Großherzogin:
Du musst lernen, dich zu öffnen. Lass die Welt wieder in dich hinein.
Er sah immer noch Jane vor sich, wie sie an diesem Abend an Lucys Wohnzimmertür gestanden hatte – Lucy, die nach dem tödlichen Unfall noch nicht beerdigt worden war. Jane hatte über ihre Mutter gesprochen:
«Sie mag dich. Ich glaube, die Tatsache, dass du noch nicht mit ihr geschlafen hast, verbessert deine Aussichten bei ihr eher noch.»
Es hatte länger als ein Jahr gedauert, bis er mit Merrily geschlafen hatte. Ein Jahr, in dem er sich von der Musik abgewendet, eine Ausbildung als Psychotherapeut angefangen und sie dann angewidert abgebrochen hatte, um sich wieder der Musik zu widmen.
Doch Merrily und er waren nicht mehr ganz jung. Sie wohnten über eine halbe Stunde auseinander, und ihr Alltagsleben unterschied sich stark. Trotzdem erschien ihm jeder Tag, den er sie nicht sah, wie ein vergeudeter Tag.
Lol strich ein Streichholz an und hielt es an die zerknüllten Zeitungsseiten. Ledwardine. Er hatte dort gewohnt, als er Merrily kennenlernte, doch die Umstände hatten dazu geführt, dass er weggezogen war. Jetzt aber wollte er zurück. Er wollte dieses Haus und alles, wofür es früher gestanden hatte.
Als die Prossers gegangen waren, zündete sich Merrily eine Zigarette an. Sie war in schlechter Stimmung und zerbrach sich den Kopf über Heilungen. Sie dachte an den fanatischen Erweckungspfarrer Vater Ellis, der im Radnor Valley eine Gemeinde gehabt hatte, sie dachte an ein Bibelfest im Theologischen Seminar, bei dem die Teilnehmer in Zungen geredet hatten und den Behinderten sagten, sie sollten aus ihren Rollstühlen aufstehen. Und wer nicht aufstand, dessen Glaube war angeblich nicht stark genug. Tja.
Und sie dachte an Ann-Marie Herdman, die ziemlich einfältig und oberflächlich war und die oft genug um ein Uhr nachts mit irgendeinem Mann über den Marktplatz und in ihre Wohnung über dem Laden wankte. Einen Mann, den sie vermutlich am nächsten Morgen nicht einmal wiedererkennen würde. Ann-Marie gehörte zu den Frauen, für die das Kirchenportal allenfalls ein günstiger Platz war, um sich zu einer Fahrt nach Hereford abholen zu lassen.
Beim Heilen war es wie beim Lotto: Die Guten gehörten selten zu den Gewinnern.
Merrily stand auf und ging in ihr Spülküchenbüro. Das einzig Richtige, was man in so einer Situation tun konnte, war nämlich, seinen spirituellen Berater anzurufen.
Allerdings ging das nur, wenn dieser spirituelle Berater nicht gerade an einem Ort, an dem Handys verboten waren, mit seinen eigenen Problemen rang. Huw Owen versuchte dem zu entkommen, was er als seine allzu menschlichen Gefühle betrachtete. Er hatte durch die Schuld eines durch und durch bösen Menschen seine große Liebe verloren und in einer Reaktion, die er als allzu emotional ansah, Rache nehmen und damit einen Abschluss finden wollen. Und obwohl – oder möglicherweise gerade weil – dieser Mann tot war, war Huw das nicht gelungen, und nun fürchtete er, dass sein Glaube nicht stark genug war, um damit fertigzuwerden.
Vor Merrily tauchte ein entmutigendes Bild ihres eigenen Glaubens auf: Ein kleiner Kern in einer dicken, schützenden Schale – zu unbedeutend und zu verkümmert, um das Prinzip des Wunders verkraften zu können.
Um kurz vor zehn rief Jane vom Hotel aus an. Dieselbe Jane, die schon längst zu Hause sein sollte.
«Hrm ... ich habe Gomer gesagt, dass er mich heute Abend nicht mit nach Hause nehmen muss, in Ordnung?»
«Ich verstehe», sagte Merrily.
«Jetzt sei doch nicht so. Ich kann problemlos morgen früh von hier aus zur Schule gehen. Zufällig habe ich sogar die Schulklamotten dabei.»
«Als könntest du hellsehen, Spatz.»
«Wieso? Du sagst doch selber immer, man soll auf alles vorbereitet sein. Vorhin hat es nach Schnee ausgesehen. Es schneit hier oben ziemlich heftig, wenn es erst mal anfängt.»
«Du bist dort ja auch mindestens zehn Kilometer
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