Die Nacht Der Jaegerin
meisten Gäste auf dem großen Treppenabsatz versammelt, wo es auch düster war, aber wenigstens ein bisschen heller als oben, weil dort ... echt, cool ... auf einer Halterung eine weißglühende Kappe leuchtete. Sie hatte diese Gasglühstrümpfe schon früher bemerkt, aber nicht geglaubt, dass sie noch benutzbar waren. Die Wirkung war unheimlich irritierend gewesen, wie eine Zeitfalte, wie ein Sprung in ein anderes Jahrhundert. Sie erinnerte sich an eine Frau, die mit schwacher Stimme gesagt hatte: «Passiert das gerade alles
wirklich
?»
«Sie haben das ganze Haus aufgeweckt, Major.» Erhobener Zeigefinger. Der Major wollte aufstehen, ließ sich dann aber wieder in seinen Ohrensessel zurückfallen. «Allerdings haben Sie
sorgfältig
darauf geachtet, dass Sie das Studierzimmer vor allen anderen betraten – diesen Ort des Todes, an dem die arme Lady Hartland in ihrem stockenden Blut lag. Denn Sie
mussten
der Erste sein, der in den Raum ging. So ist es doch, nicht wahr?»
«Alles Märchen, Sir.» Doch in der Stimme des Majors schwang die Niederlage mit. War er
tatsächlich
ein Major? Eine Stunde zuvor hatte er an der Bar erzählt, dass er bis zu seiner Pensionierung in Brecon stationiert gewesen war. Hatte er das alles erfunden?
Das Licht flackerte. Jane war wie betäubt.
Es funktionierte.
Als sie in der Nacht zuvor alle die Treppe heruntergekommen waren, hatte der Major schon mit dem Rücken zur Tür des Studierzimmers gestanden.
«Grundgütiger, hier ist etwas Schreckliches geschehen! Hören Sie, Madam, am besten sehen Sie gar nicht hinein.»
In diesem Augenblick war die Tür des Studierzimmers hinter ihm aufgeschwungen, und man sah die nackten Unterschenkel der Leiche so weiß wie Altarkerzen aus den Schatten ragen. Und auch das hatte funktioniert.
O Gott
, war es Jane im ersten Augenblick unwillkürlich durch den Kopf geschossen.
«Also.» Der Mann in Schwarz räusperte sich. «Wir wissen schon,
warum
Sie Lady Hartland umgebracht haben, und nun wissen wir auch,
wie.
Bleibt nur noch die Frage ...»
«Die Frage nach den Beweisen. Die Sie selbstverständlich nicht haben.» Der Major wandte sich verächtlich ab und richtete seinen Blick auf das hohe Fenster. Scheinwerfer leuchteten auf, und das Licht brach sich in den Regentropfen, die draußen an den Scheiben herabliefen. Wahrscheinlich parkten die Cravens gerade aus, um nach Hause zu fahren.
Verdammt
, dachte Jane,
sie hatten mir gesagt, ich soll die Vorhänge zuziehen.
Wenigstens stand Ben mit dem Rücken zum Fenster, sodass er vermutlich nichts von den Scheinwerfern mitbekam. Jane hob die Hand an ihr weißes Rüschenhaarband, um sicherzustellen, dass es nicht wieder verrutscht war.
«Sie fordern Beweise, Herr Major?» Ein überhebliches Lächeln und eine Hand, die sich nach etwas neben dem Ohrensessel ausstreckte. «Wenn wir nach Beweisen suchen ...»
«Finger weg! Wie können Sie es wagen, Sir!»
«... dann müssen wir vermutlich nicht weit gehen.»
Der Mann in Schwarz hielt den Gehstock des Majors in den Händen. Der Stock war aus Elfenbein und hatte einen Messinggriff in Form eines Kobrakopfes. Während er den Stock in Händen wog, wurde in der Ferne leises Violinspiel hörbar. Das hätte normalerweise völlig dämlich klingen müssen, aber irgendwie passte es genau und unterstrich die Spannung in dem Moment, in dem der Gehstock dem Mann im Ohrensessel hingehalten wurde.
«Wenn Sie so freundlich wären, Major. Oder soll ich?»
«Ich weiß nicht, wovon Sie reden.»
«In diesem Fall sollten wir keine Zeit mehr verschwenden!» Der Mann in Schwarz riss den Stock zurück und hielt ihn neben die Öllampe über den Tisch, sodass alle genau beobachten konnten, wie er den Kobrakopf abschraubte.
«Nein!»
Der Major fuhr auf. «Das ...»
Der Schlangenkopf war abgeschraubt, und der hohle Schaft des Stocks wurde sanft geschüttelt. Der Mann in Schwarz schirmte mit seinem Körper das Licht vom übrigen Raum ab, deshalb war die Aufmerksamkeit aller auf seine Hände gerichtet ... und auf diesen großen roten Edelstein, der aus dem Gehstock rollte und funkelnd am Rand des Tisches liegen blieb.
«Hmm. Der Fontaine-Rubin, wenn mich nicht alles täuscht.»
Der Major erhob sich halb aus seinem Sessel, als wolle er dieser Vorstellung ein Ende bereiten. Die anderen Gäste schnappten nach Luft, hatten sie doch den größten Teil des Nachmittags damit verbracht, nach diesem künstlichen Edelstein zu suchen, während der Gehstock die ganze Zeit für alle
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