Die Nacht Der Jaegerin
Jane noch überlegt, ob sie ihr nicht einfach alles erzählen sollte. Aber wenn sie Mom mit Hatties Geschichte gekommen wäre und damit, dass sie nachts in Hatties Zimmer einen Pistolenschuss gehört hatte, dann hätte sie bestimmt nicht gleich wieder nach Stanner fahren dürfen.
Abgesehen davon hätte Mom sowieso nichts ändern können. Exorzisten arbeiteten schließlich nur auf Anforderung.
Clancy war zum Fernsehen in Ambers und Bens privates Wohnzimmer gegangen. Sie interessierte sich kein bisschen für die
White Company.
Jane wählte die Nummer, die Antony ihr gegeben hatte. Auch hier erreichte sie nur die Mailbox: «Antony, hier ist Jane. Tut mir leid, wenn ich Sie störe. Ich weiß nicht, wie es bei Ihnen ist, aber hier ist das Wetter ziemlich schlecht ... Ben glaubt aber, dass trotzdem genügend Leute von der
White Company
kommen. Also ... glauben Sie, dass Sie kommen können? Und wenn nicht, was soll ich dann für Aufnahmen machen? Es wäre nett, wenn Sie mir das noch ein bisschen genauer sagen würden. Ich habe schon ein paar richtig tolle Aufnahmen von Stanner im Schneesturm. Also dann ... Tschüs.»
Sie gab Eirion weitere fünf Minuten für einen Rückruf, dann zog sie ihre Fleece-Jacke aus, holte ihre Reisetasche unter dem Bett vor, suchte sich den wärmsten Pullover aus und zog die Fleece-Jacke darüber an. Dann prüfte sie den Ladezustand der Videokamera. Und schließlich verließ sie das Zimmer, ging ein Stockwerk tiefer und linksherum durch die Brandschutztür.
Sie musste es machen. Sie musste sich davon befreien, bevor sie weitermachen konnte. Damit sie endlich nicht mehr mitten in der Nacht aufwachte und auf diesen verdammten Schuss wartete.
Am Frühstückstisch war ihr so elend zumute gewesen, dass sie Mom beinahe gebeten hätte, Hattie Chancery aus ihrem Unterbewusstsein zu exorzieren. Als ob Mom dazu einfach nur ein Kreuz in die Luft malen und ihr die Hand auflegen müsste. Verdammt.
Jane ging den Flur entlang und hielt die Sony-Kamera vor sich wie ein Maschinengewehr. Sie musste es tun, sie war schließlich erwachsen und kein Kind mehr. Sie musste mit dem neuen Wissen, wessen Zimmer das gewesen und was dort geschehen war, in das Turmzimmer gehen – mit dem Wissen, dass sie Hattie Chancery im echten Leben vermutlich noch mehr gehasst hätte, als sie ihre mögliche geisterhafte
Gegenwart
hasste.
Jane hatte vor, in das Zimmer im Hexenhut-Turm zu gehen, die Sony-Kamera bereit zu machen und zu sagen:
Los, zeig dich, du brutale Kuh.
Das war Janes selbstauferlegte Buße.
«Ich hab’s einfach nicht geschafft.» Danny hatte den Kopf in die Hände gestützt, während vor ihm auf dem Tisch ein Teller Tomatensuppe kalt wurde. «Ich konnte es ihm nicht sagen.» Er sah Greta an. «Bin ein ganz schöner Feigling, was?»
«Vielleicht ist es ja am besten so», sagte Greta, aber er sah ihr an, dass sie das nicht glaubte.
Danny aß einen Löffel Suppe. Durch das Küchenfenster sah er den Schnee in geisterhaften Schwaden über den Hof treiben. Vieh hielt er nicht mehr. In den Ställen standen nur noch sein Traktor und Delia, Gomers neuer JCB -Traktor. Danny musste noch den Schneepflug an den Traktor montieren. Dieses Wetter konnte tagelang anhalten.
«Weißt du, wovor ich plötzlich Angst hatte, als ich bei ihm war, Gret? Dass er ihn vielleicht umbringt, wenn ich es ihm erzähle.»
«Danny, wir reden hier von
Jeremy.
»
«Ich weiß nicht.» Danny legte den Löffel weg. «Jeder kann irgendwann komisch werden. Leiden hier doch alle an den gleichen Krankheiten: Einsamkeit, tausendseitige EU -Formulare, die ausgefüllt werden müssen, Ohrmarken für das Vieh, und am Schluss muss man seine Tiere auch noch den Bürokraten überschreiben. Keine Unabhängigkeit mehr, kein Stolz, keine Erfüllung, kein Geld. Ach,
Scheiße.
»
«Du bist doch ausgestiegen», erinnerte ihn Greta mit sanfter Stimme. «Du arbeitest jetzt mit Gomer. Du hast diese Probleme nicht mehr.»
«Aber Jeremy wird niemals aus der Landwirtschaft aussteigen. Sie ist ein
Teil von ihm.
Der Grund und Boden ist wie ein Körperteil von ihm. Wenn du seine Wurzeln rausreißt, dann stirbt er.»
«Warum sollte ihn jemand entwurzeln? Er hat einen guten, rentablen Bauernhof. Er wird respektiert. Er hat ...»
«Eine gute Frau? Früher gab’s Bauernhochzeiten, und die Ehen haben gehalten. Heute gibt’s
Partner
... auf Zeit. Das funktioniert vielleicht in der Stadt. Aber wenn du auf dem Land keine Beständigkeit hast – noch so ein
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