Die Nacht Der Jaegerin
hochkarätigen Geistführer beschrieb: Pheneas, einen Schreiber aus der sumerischen Stadt Ur, der vor über viertausend Jahren gestorben war.
Ein freundlicher, respektabler, irregeleiteter Mann.
Der Schnee schien das Spülküchenbüro in wattige Stille zu hüllen, das Klingeln des Telefons schrillte Merrily wie eine Alarmanlage in den Ohren. Sie nahm ab, klemmte sich den Hörer zwischen Kinn und Schulter und klickte bei Google die nächste Seite an.
«Pfarrhaus von Led...»
«Frau Pfarrer?»
«Alice?»
«Frau Pfarrer, sind Sie da? Kann ich später kurz vorbeikommen?»
«Ich ... ja, sicher. Aber ziehen Sie Stiefel an, Alice, ich hatte keine Lust, die Einfahrt frei zu schippen.»
«Mit Dexter», sagte Alice.
«Oh.»
Die Digitaluhr auf dem Schreibtisch zeigte 19:18 Uhr.
«Tut mir leid, dass ich mich jetzt erst melde», sagte Alice. «Meine Schwestern hätten dieses Seelenamt sehr gern. Dexter ist da noch nicht so sicher.»
«Ist er bei Ihnen?»
«Er arbeitet zwei Abende die Woche im Imbiss.»
In einem verräucherten Imbiss? Mit Asthma?
«Also, wissen Sie ... ich kann natürlich nochmal versuchen, ihm alles zu erklären. Aber ich möchte nicht ...»
«Sagen wir in einer halben Stunde, wäre das in Ordnung?», sagte Alice.
Auf dem Bildschirm stand ganz oben auf der zweiten Seite mit Suchergebnissen:
Die White Company wurde gegründet, um Sir Arthur Conan Doyles Überzeugung weiterzutragen, dass die Existenz der Geisterwelt unwiderlegbar bewiesen werden kann.
Oh.
«Okay», sagte Merrily, «na schön.»
Sie legte auf und klickte auf den Link. Eine gedrungene Gestalt erschien, ergrauter Schnurrbart, Nadelstreifenanzug, Uhrkette, aufmerksamer Blick. Um den Mann herum schwebten wie der Chor aus einer griechischen Tragödie weitere, unschärfere Gesichter – nebelhaft verschwommene Mienen, die flackerten wie defekte Straßenlaternen. Und dann:
Die White Company heißt Sie willkommen
Walter war dieser fette, grinsende alte Widerling, dessen Schnurrbartspitzen nach oben eingedreht waren. Seine Frau, Bella, hätte ebenso gut seine Tochter sein können. Sie trug ihre Nase beinahe so hoch wie ihre Turmfrisur. Und das Kind, dieses Pfannkuchengesicht, das sich an ihre Hand klammerte, hätte seine Enkelin sein können.
In Wahrheit aber war es Hattie Chancery, offenbar das früheste erhaltene Bild von ihr. Es hing neben der Tür an der Wand und war eins von vier gerahmten Fotos, auf denen sie zu sehen war: Walter und seine Familie im Garten – Walter mit einem förmlichen steifen Kragen und seine Frau Bella in einem Rüschenkleid mit Krinoline. Dann gab es noch zwei Aufnahmen, die offenkundig von einem Jagdtag stammten, bei dem ein bedauernswerter Fuchs in einen Dachsbau getrieben wurde. Und über dem Bett hing das vierte Bild ... die erwachsene Hattie, deren Bild vom Spiegel gegenüber zurückgeworfen wurde.
«Wo haben sie die Bilder gefunden?» Janes Stimme klang immer noch ein bisschen unsicher. Anscheinend konnte so ein Schock noch minutenlang nachwirken.
«Die haben sie in Kington beim Museum ausgeliehen.» Natalie lag rücklings auf dem klauenfüßigen Bett und rauchte. «Das ging, weil Ben hier einen richtig alten Waschbottich und solche Sachen entdeckt und dem Museum geschenkt hat. Wir geben die Bilder nach dem Kongress zurück, nachdem wir sie abfotografiert haben. Aber Ben dachte, dass die Originale die stärksten Schwingungen aussenden.»
«Für Hardy?»
«Ben glaubt natürlich kein bisschen dran, aber wenn sich die Leute von der
White Company
dadurch inspiriert fühlen ...» Nat rollte sich vom Bett und streckte sich – genau, wie sie es getan hatte, als Jane hereingekommen war. Sie trug enge Jeans und eine schwarze Bluse, in deren Ausschnitt ein silberner Anhänger zu sehen war. «Ich bin total erledigt, Jane. Möbel schleppen macht einen echt fertig.»
«Wie alt war sie da wohl, was meinen Sie?»
«Keine Ahnung. Dreißig vielleicht?»
«Und Alistair Hardy will also wirklich in diesem Zimmer übernachten?» Jane konnte sich das nicht mehr vorstellen. Und der Gedanke daran, morgens aufzuwachen, wenn diese silberhellen Augen auf einen runterstarrten ...
«Ich glaube, er weiß noch gar nichts davon. Das Ganze ist Bens Idee. Er ist inzwischen ziemlich besessen von Hattie Chancery und diesem Zimmer – Stanner Halls Geisterzimmer –, und er denkt eben wie ein Fernsehmensch. Deshalb mussten wir den Raum möglichst originalgetreu einrichten. Das hat beinahe den
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