Die Nacht Der Jaegerin
wirkte.
Die Tür unterschied sich von den anderen auf dem Flur nur dadurch, dass sie keine Nummer hatte. Als Jane sie aufstieß, um dann mit der Kamera einen Schritt zurückzutreten, wurde ihr klar, dass es in dem Zimmer zu dunkel war, um Aufnahmen zu machen. Sie drückte die Pausentaste und erinnerte sich, dass ein paar Schritte weiter eine spitzbogige Tür aus Eichenholz kam, die zur Turmtreppe führte.
Am Fuß der Treppe blieb Jane kurz stehen. Sie wusste, dass hier eine Lampe von der Decke hing. Irgendwo musste ein Schalter sein. Aber als sie ihre Hand über die Wand rechts und links der Tür gleiten ließ, fand sie den Schalter nicht. Vielleicht war er ja am oberen Ende der Treppe. Sie ertastete die erste Treppenstufe mit dem Fuß und ging vorsichtig hinauf. Eins, zwei, drei, vier ... waren das alle?
Nein – sie stolperte – fünf.
Jane dachte daran, wie cool es ihr am Anfang erschienen war, in einem der Turmzimmer unter dem Hexenhut zu schlafen, von denen aus man einen Ausblick weit über die Grenze hatte.
Mit einem Mal blitzte eine erschreckend deutliche Filmsequenz in ihrem Kopf auf: Der schwere Armeerevolver polterte zu Boden, während Hatties Kopf explodierte, Blut und Hirnmasse ihr blondes Haar tränkten und dann an den Wänden herabliefen ...
Als sie nach der Schlafzimmertür tastete, stieg ihr ein bitterer Wachsgeruch in die Nase. Möbelpolitur? Die Kälte drang durch ihren Pullover, als wäre er aus dünner Baumwolle, und sie stellte sich vor, wie Robert Davies hier fieberkrank gelegen hatte und wie Hattie ihm die Bettdecke wegriss. Was war in Hattie vorgegangen, als sie mit dem Revolver hier heraufstieg? Woher hatte sie gewusst, dass er geladen war – wenn sie ihn nicht selbst geladen hatte? Hatte sie sich ihren Abgang so vorgestellt?
Janes Hand stieß an den rundlichen, gusseisernen Türknauf. Sie griff danach, drehte ihn und betrat das Zimmer, in dem sie vermutlich auch erst nach dem Licht suchen musste.
Aber in dem Zimmer war es überhaupt nicht dunkel. Hattie Chancerys Zimmer war von sanftem, gelblichem Licht erhellt.
Jane sah eine Lampe auf einer polierten Eichenkommode vor dem mittleren Fenster stehen, an denen bodenlange violette Samtvorhänge hingen. Das Licht ließ an den Wänden mit den Velourstapeten ein paar vergoldete Bilderrahmen schimmern.
Der Politurgeruch kratzte Jane im Hals. Sie drehte sich zur Tür um und drückte sie entschlossen hinter sich zu. In dem dreiflügeligen Spiegel auf dem Frisiertisch sah Jane das klauenfüßige Bett. Und dann eine Frauengestalt, die sich langsam aufrichtete.
Jane schrie, wie sie noch nie geschrien hatte. Hoch und durchdringend. In dem mittleren Spiegel zeigte sich ein breites Gesicht, umrahmt von dickem, hellem hochgestecktem Haar und Augen, die klein und rund wie Silberzwiebeln wirkten.
25 Möbel schleppen
Die
White Company
war im vierzehnten Jahrhundert als englische Söldnertruppe unter Sir John Hawkwood entstanden, der hauptsächlich aufgrund seiner Feldzüge in Italien bekannt war. Außerdem hieß auch noch ein Unternehmen so, bei dem man im Internet puschelige Badezimmeraccessoires bestellen konnte, sowie zwei Vereine, die historische Maskenbälle veranstalteten.
Ziemlich weit unten auf der ersten Seite mit Treffern schließlich fand man bei Google einen Link, der
The White Company
als Titel eines historischen Romans von Arthur Conan Doyle bezeichnete. Merrily klickte darauf.
Zusammengewürfelter Haufen englischer Söldner unter der Führung Sir Nigel Lorings ... akribische Aufmerksamkeit für die historischen Details ...
Nichts wies darauf hin, dass der Roman irgendetwas mit dem Interesse zu tun hatte, das Doyle in seinen letzten beiden Lebensjahrzehnten beherrscht hatte.
In kaum einer Stunde hatte sie eine fast unüberschaubare Menge an Informationen zusammen: Sir Arthurs unermüdliche Reisen durch England und Amerika, bei denen er für seine Überzeugung warb, dass der Spiritismus die Menschheit für alle Zeiten verändern würde, weil er den wissenschaftlichen Beweis dafür lieferte, dass es ein Leben nach dem Tod gab. Seine naive Verteidigung offenkundiger Tricksereien. Sein Beharren darauf, er habe während einer Séance mit seinem Sohn Kingsley gesprochen, der im Ersten Weltkrieg gefallen war. Sein Glaube daran, dass seine Schwester Annette, die schon dreißig Jahre tot war, durch automatisches Schreiben mit seiner Frau Jean kommuniziert habe. Und dann war da noch der Mann, den Doyle als seinen eigenen
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