Die Nacht Der Jaegerin
hat er ein paar Mal angedeutet, Darrin wäre labil ... gewalttätig. Er hat mehr oder weniger direkt gesagt, dass er sich als Kind vor Darrin gefürchtet hat. Dass Darrin anderen gern weh getan hat, dass er gerne Ärger angezettelt hat und dass er eine Neigung zur Brutalität hatte. Und nachdem Darrin schon so oft im Gefängnis war und Dexter nicht, habe ich ihm das geglaubt.»
Stille. Die Tür zum Salon wurde geöffnet, Bliss warf einen Blick in die Eingangshalle, sah, dass Merrily noch telefonierte und zog sich wieder zurück.
«Ich erzähle Ihnen mal etwas über Darrin Hook», sagte Annie Howe. «Ich habe ihn nämlich vor einigen Jahren mal verhaftet. Er versuchte gerade, mit ein paar Freunden die PC s zu verhökern, die er in einer Fabrik gestohlen hatte, also konnten wir gleich die ganze Bande hochnehmen. Hook, so stellte sich heraus, war derjenige, der sie an einer hochgerüsteten Alarmanlage vorbei in die Fabrik geschleust hatte. Er war nicht gerade eine Intelligenzbestie, aber handwerklich sehr geschickt. Und er war ein Typ, der tat, was man ihm sagte. Zum Beispiel hätte man ihm sagen können, er soll in eine Drogerie einbrechen, oder dass man einen BMW aus der 7er Serie will, und Darrin hätte es erledigt. Er war so eine Art Naturtalent, wenn’s um Einbrüche ging.»
«Er war auch derjenige, der damals in die Garage eingebrochen ist. Da war er ungefähr zwölf.»
«Das ist eben seine Spezialität. War es. Damit ist er in gewissen Kreisen beinahe berühmt geworden. So hat er sich Anerkennung verschafft.»
«Dexter hat angedeutet, er wäre ein ... harter Hund gewesen.»
«Mrs. Watkins, er ist immer wegen Diebstahls verurteilt worden, nie war Gewalt im Spiel – jedenfalls nicht von seiner Seite. Es überrascht mich überhaupt nicht, dass er in relativ kurzer Zeit zu Ihrer Religion bekehrt wurde. Wenn jemand ausreichend missionarischen Eifer hatte und er in einer Situation war, in der er nicht ausweichen konnte, dann war er bestimmt leicht rumzukriegen.»
«Besonders, wenn er etwas auf dem Gewissen hatte?»
«Das bestreite ich gar nicht. Ihre Zunft ist ziemlich gut darin, die Schwachpunkte der Leute zu erkennen.»
«Also haben Sie noch nicht mit Dexter gesprochen.»
«Er war nicht zu Hause, und wir haben noch nicht nach ihm gesucht. Für mich klingt es so, als ließe er sich entweder leicht Angst einjagen oder als würde er seinen Cousin anderen Leuten gegenüber absichtlich falsch darstellen.»
«Er hatte die Spätschicht in Alices Imbiss in Ledwardine, aber ich vermute, der Imbiss hat inzwischen geschlossen.»
«Schon lange, schätze ich. Übernachtet er im Dorf?»
«Ich glaube, er fährt normalerweise nach Hereford zurück. Aber ob er heute durchgekommen wäre ...»
«Wir reden so oder so morgen früh mit ihm. Er weiß ja nicht, dass wir uns für ihn interessieren. Tja ... danke, Mrs. Watkins. Am Schluss ist ja doch noch was bei unserem Gespräch herausgekommen, oder?»
«Ich weiß nicht recht. Wenn er Alice nichts von seiner Bekehrung erzählt hat, dann hat er Dexter erst recht nichts davon gesagt.»
«Wir werden ja sehen», sagte Howe. «Guten Abend.»
Merrily gab dem Detective sein Handy zurück und trat auf die Veranda hinaus, um Bliss einen Moment lang aus dem Weg zu gehen. Das alles war zu schrecklich. Sie verließ die Veranda auf der anderen Seite und ging die Stufen zum Hof hinunter. Es hatte wieder angefangen, heftig zu schneien. Merrily kam sich vor wie in einer dieser Glaskugeln zum Schütteln.
«Ich war größer als Darrin, aber er war wirklich verrückt, echt. Hat mir mal sein Messer in den Handrücken gerammt. Hatte ein Luftgewehr, mit dem hat er im Garten ein Rotkehlchen abgeschossen. Und am liebsten hat er die Sachen kaputt gemacht, die jemandem besonders gefallen haben.»
Es passte nicht zusammen. Und doch mussten diese Dinge passiert sein, denn Dexter Harris hatte nicht genügend Phantasie, um sich so etwas auszudenken. Nur hatte nicht Darrin sie getan. Und wenn Darrin sie nicht getan hatte, dann ...
«Wieso musst du dich immer überall einmischen, Alice? Kein Mensch hat dich gebeten, mit diesem Scheiß anzufangen»
, hatte Dexter gebrüllt. Und er hatte gesagt:
«Was ist, wenn nicht jeder will, dass die Wahrheit rauskommt?»
Es war Dexter, der nicht wollte, dass die Wahrheit herauskam.
Merrily streifte die Kapuze des Dufflecoats zurück und hielt ihr Gesicht dem kalten Schnee entgegen. Ein gerade eben neu Bekehrter hätte die Seelenmesse ganz bestimmt
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