Die Nacht Der Jaegerin
Weihnachtsbeleuchtung um Mitternacht abgeschaltet, und nun ragte der Baum unter seiner Schneelast unförmig empor und schien in der Mitte mit der Markthalle verwachsen. Der Schnee fiel sehr dicht, es war, als ginge man durch Spitzenvorhänge, und die wenigen Lichter, die in Ledwardine noch brannten, schienen Lol wie Augen aus misstrauischen, dick vermummten Gesichtern zu beobachten.
Er bog in die Church Street ein und ging an der Reihe Fachwerk-Cottages vorbei, zu der auch Lucys Haus gehörte. Die Fenster waren dunkel, und der Schnee türmte sich auf der Eingangstreppe wie ein riesiger Berg angesammelter Post.
Es war, als wäre er allein im Dorf. Überall herrschte diese weiße, wattige Stille, wie in einer Leichenhalle.
Ein kurzes Stück den Hügel hinunter hatte sich die Einmündung der Old Barn Lane in einen Fluss aus Schnee verwandelt.
In den Monaten, bevor er Merrily kennengelernt und mit Alison Kinnersley im Dorf gewohnt hatte, war Lol manchmal zu dem Imbiss gegangen. Alice hatte damals über dem Laden gewohnt, und er erinnerte sich vage an ihren Umzug in eines der ersten neuen Häuser, die im Old Barn Close fertig wurden. Alice hatte anscheinend schon immer in einem praktischen kleinen Bungalow wohnen wollen.
Der Imbiss lag beinahe ganz am Ende der Straße, bevor die Felder anfingen. Die Jalousien waren heruntergelassen, kein Licht schimmerte durch die Spalten, und es gab auch keine Straßenlampen, die den Weg zum Old Barn Close etwa fünfzig Meter weiter hinten beleuchtet hätten. Lol schaltete die schwarze Maglite-Taschenlampe an, die er aus dem Pfarrhaus mitgenommen hatte.
Der Old Barn Close war eine neue, sorgfältig geplante Wohnsiedlung aus neun oder zehn Häusern und Bungalows, die in großzügigem Abstand voneinander unter altem Baumbestand errichtet worden war. Alice wohnte ganz hinten. Ihr Grundstück grenzte an einen der alten Obstgärten, die mehr oder weniger das gesamte Dorf bis zur Kirche umgaben.
Also gut. Wenn im Bungalow Licht brannte, würde er klingeln. Wenn Dexter Harris aufmachte, würde er sich für sein spätes Auftauchen entschuldigen und sagen, er hätte Alice eine Nachricht von der Pfarrerin zu überbringen, die in Kington festsäße und Alice telefonisch nicht hatte erreichen können. Das war keine besonders gute Ausrede, aber es würde bei diesem Wetter auch nicht allzu verdächtig klingen. Wenn Dexter sagte, dass Alice schon schlief, würde er ins Pfarrhaus zurückgehen und versuchen, Alice Howe anzurufen.
Und wenn Alice da war, musste er improvisieren. Ob er Alice sagte, dass Darrin tot war, falls sie es noch nicht wusste, würde nicht zuletzt davon abhängen, ob Dexter da war oder Alice ihn noch erwartete.
Lol blieb am Anfang der Wohnsiedlung stehen, atmete tief durch und wischte den Schnee von seinen Brillengläsern und den Ärmeln seines alten Parkas.
Warum war er tatsächlich hier? Warum tat er das? Weil er das Gesicht vorm Fenster gesehen hatte? Weil ihn beunruhigte, was er von Merrily gehört hatte? Weil er sich sonst nutzlos gefühlt hätte?
Nein, im Grunde tat er es, weil er wusste, dass Merrily es getan hätte, wenn sie da wäre. Merrily – und darüber dachte er lieber nicht genauer nach – fürchtete sich vor dem, was die hitzige Alice gesagt oder getan haben könnte und wozu ihre Worte möglicherweise geführt hatten.
Aufgrund des unaufhörlichen Schneefalls sah er das Licht in dem Bungalow erst, als er schon halb durch die Siedlung war. In allen anderen Häusern war es dunkel, nur an manchen Eingängen brannte eine Außenlampe zur Abschreckung von Einbrechern. Bei Alice brannte das Licht entweder in der Küche oder im Wohnzimmer oder in beiden Räumen. Es war schwer zu sagen, denn die Vorhänge waren zugezogen. Sie hatten ein farbenfrohes Muster aus Rosen, die sich ein gelbes Spalier hinaufrankten.
Beide Flügel des Gartentores standen offen. An einem hing ein Schild mit der Aufschrift «Orchard’s End». Ein weißer Pick-up mit hohen Reifen und einer zentimeterdicken Schneedecke auf der Kühlerhaube stand in der Einfahrt. Dexter? Lol knipste die Taschenlampe aus. Auch hier brannte über dem Seiteneingang eine Außenleuchte. Lol ging hin und klingelte. Er registrierte, dass der Schnee rund um den Eingang weggeschoben worden war und neuer Schnee die Fußspuren, die hinters Haus führten, schon beinahe wieder ausgelöscht hatte.
Er hörte die Klingel im Inneren des Hauses, es war ein altmodischer, schriller durchgehender Klingelton. Er nahm den
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