Die Nacht Der Jaegerin
Alices Gesichtsfarbe hatte, wenn man einmal darüber nachdachte, immer auf Bluthochdruck hingedeutet.
Wie wild begann Lol, den Schnee von ihren marmorkalten Beinen zu schieben.
Wie lange lag sie schon hier? Eine Stunde?
Normalerweise hätte sie schon tot sein müssen.
Er zog seinen Parka aus, richtete Alice auf und legte ihr den Parka um die Schultern. Dann umfasste er mit dem einen Arm ihren Rücken, schob den anderen unter ihre Beine und hob sie aus dem Schnee.
Und die ganze Zeit wusste er, dass Dexter in der Nähe war und ihn beobachtete.
44 Zufluchtsort
Der Sessel und das Sofa waren im rechten Winkel zueinander unter dem Schein der viktorianischen Stehlampe aufgestellt worden. Das Arrangement nahe am Kamin im Salon wirkte geradezu gemütlich. Daneben stand ein Beistelltisch mit zwei Tassen Kaffee darauf, den eine mollige Polizistin namens Alma serviert hatte.
«Ich dachte, ich setze mich hier neben die Tür», sagte Alma zu Merrily. «Der Raum ist ja sehr groß, also höre ich nichts, was Sie mich nicht hören lassen wollen. Ich nehme mir einen Stuhl und lese Zeitung.»
Merrily zog den Mantel aus und legte ihn über die Sofalehne. «Könnten Sie uns nicht allein lassen?»
«Ich muss Sie im Blickfeld haben. So lauten meine Anweisungen.»
«Meine Güte», sagte Brigid Parsons, die auf dem Sessel saß, «was könnte ich schon machen? Sie als Geisel nehmen? Sie mit ihrem Priesterkragen erdrosseln?»
«Ich trage keinen», sagte Merrily. «Sie müssten mich also mit dem Kettchen strangulieren, an dem ich diesen Kreuzanhänger trage.»
Alma lächelte nicht. Irgendwer hatte ein frisches Holzscheit aufs Feuer gelegt, sodass sich viel Qualm und zischende, gelbliche Flammen entwickelten.
Brigid Parsons streckte ihre langen Beine zum Kamin aus. «Jetzt weiß ich, wo Jane ihren Humor herhat», sagte sie.
«Wenn Sie irgendetwas brauchen», sagte Alma, «gehen Sie nicht aus dem Zimmer. Rufen Sie mich, und ich komme.» Sie warf noch einen Blick über die Schulter und verließ den Salon. Das Feuer knisterte und schoss eine Funkensalve empor. Hastig stand Brigid Parsons auf, trat einen Funken auf dem Teppich aus und setzte sich wieder.
Dann schob sie eine dunkle Haarsträhne aus der Stirn. «Jane hat Sie also doch noch in die Sache verwickelt.»
«Nur indirekt. So ist sie eben. Sie arbeitet nicht
aktiv
gegen einen, sondern einfach ... indirekt.»
«Sie ist ein gutes Mädchen. Ich mag Jane. Sie ist sehr aufgeweckt. Anders als die arme kleine Clancy – aber wessen Fehler ist das wohl?»
Merrily setzte sich an das eine Ende des Sofas. «Weiß sie Bescheid? Clancy, meine ich.»
«Über mich? Ja. Ja, das tut sie. Ich wollte es ihr eigentlich erst erzählen, wenn sie die Schule hinter sich hat. Es war immer überraschend leicht, sie
nichts
davon erfahren zu lassen – man kommt aus dem Gefängnis und landet plötzlich mit seiner kleinen Tochter und einer neuen Identität in einer eigenen Wohnung. Es war schwer, sich daran zu gewöhnen, also habe ich an ihr geübt. Hab ihr immer wieder alles über mein neues Ich erzählt, da war sie noch nicht mal alt genug, um überhaupt zu verstehen, wovon ich spreche. Und an ihrem zweiten Geburtstag war mein altes Ich Geschichte. Wegsortiert.»
«Warum wollten Sie denn warten, bis sie aus der Schule war?»
«Oh ... weil ... Na ja, erst mal weil Clancy nicht wie Jane ist, die darin eine Herausforderung gesehen hätte. Aber auch, weil sie einfach sofort hätte gehen können, wenn ich es ihr mit achtzehn gesagt hätte.»
«Von Ihnen weggehen, meinen Sie?»
«Wenn sie das gewollt hätte.»
«Und warum haben Sie es ihr dann doch erzählt?» Merrily trank einen Schluck Kaffee. Er schmeckte gut. Amber Foley, Stanner Halls einziger Aktivposten. «Ist Ihnen jemand auf die Spur gekommen? Die Presse?»
«Nein, damit hatte es nichts zu tun. Es gab vor mehreren Jahren so eine Geschichte – Ärger mit den Medien –, aber da war Clancy noch klein. Ich musste meinen Namen noch einmal ändern. Dieses Mal in Craven. Und als wir dann in Craven Arms landeten, war das wirklich wie ein schlechter Witz. Ich hatte Probleme damit, mich an einen neuen Vornamen zu gewöhnen. Sie nicht. Ich glaube, sie dachte irgendwie, das müsste jeder alle paar Jahre machen. Entschuldigen Sie, aber ist das eine Zigarettenpackung, die da aus Ihrer Manteltasche herausschaut?»
«Möchten Sie eine?» Merrily zog das Päckchen Silk Cut und das Feuerzeug aus der Manteltasche.
Brigid nahm eine Zigarette,
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