Die Nacht Der Jaegerin
mich nicht so an. Ich habe zehn Jahre im Bau gesessen, da weiß ich, wie es ist, wenn die Hormone verrücktspielen. Ja, es hätte vielleicht eine Rolle gespielt. Sie hatte schon genügend Probleme.»
«Wie bitte?»
«Clancy. Wie viel Zeit haben wir?»
«Ich weiß nicht. Ich glaube, die Kripo-Chefin von Hereford will Sie zur Befragung holen lassen. Sie wird ziemlich leicht ungeduldig. Vielleicht besorgt sie einen Schneepflug. Es würde ihr nicht gefallen, wenn sie wüsste, dass Sie mit mir sprechen. Deswegen glaube ich, dass wir keine weitere Gelegenheit mehr dazu haben werden.»
«Okay, Merrily.» Brigid schaute dem Zigarettenrauch nach. «Es ist folgendermaßen: Ich gehöre keiner Kirche an, und ich weiß eigentlich selbst nicht, was ich glaube. Mir ist niemals der Geist meiner grässlichen Großmutter erschienen, und ich hatte nie das Gefühl, dass sie mir über die Schulter sieht. Nicht, dass ich es nicht gewollt hätte. Ich würde sie sogar unheimlich gern mal sprechen. Früher heute Abend – das wird Jane Ihnen noch genauer erzählen – habe ich, umgeben von ihren gruseligen alten Fotos an der Wand, in Hatties Bett gelegen. Beim größten Foto musste ich erst das Glas reinigen, und das habe ich getan, indem ich ihr sozusagen ins Gesicht spuckte, immer wieder. Und dann habe ich unter ihrem verschmierten Bild gelegen und uns beide im Kommodenspiegel angeschaut. Und ist etwas passiert? Nein, verdammt. Keine Lichter, keine Erscheinungen, keine unerklärlichen Temperaturschwankungen. Dieses Miststück.»
«Warum wollten Sie Hattie denn sehen?»
Brigid ging nicht auf die Frage ein. «Vergangene Woche hatten Ben und ich Streit mit einem von diesen bewaffneten Rambo-Typen, die Sebastian angeheuert hat, und er hat eine verächtliche Bemerkung über Jeremy gemacht. Das hätte er besser bleiben lassen.»
«Sie haben ihn angegriffen.»
«Ben war sehr galant. Er sagte, jetzt würden die Leute vielleicht endlich aufhören, ihn Schlappschwanz zu nennen. Und er meinte, er würde mich verstehen, nachdem der Kerl auf
The Nant
beinahe Clancy erschossen hatte. Tja ... Der Typ hatte mit so etwas natürlich nicht gerechnet, und ich glaube, schon der erste Schlag hat ihm die Nase gebrochen. Was ich allerdings nicht registriert hatte, bis mich Ben von dem Kerl wegzerrte, war, dass ich einen Stein in der Hand hielt. Ich kann mich nicht daran erinnern, ihn aufgehoben zu haben – ich vermute, dass ich es aus Reflex getan habe, als ich ihn auf uns zukommen sah und wir nicht wussten, ob er bewaffnet ist ... Das scheint Sie ja nicht besonders zu schocken.»
«Was sollte ich denn Ihrer Meinung nach dazu sagen?»
«Sie können ruhig geschockt sein, das bin ich ja selbst, wenn ich mir den Gedanken daran erlaube. Aber das tue ich nicht oft, schließlich muss ich mich wegen Clancy halbwegs normal benehmen. Mir ist natürlich klar, dass es ungefähr an derselben Stelle passiert ist, an der meine Großmutter meinem Großvater den Schädel eingeschlagen hat. Aber ich betone nochmal, dass ich nichts Besonderes gespürt habe. Ich habe sie nicht
bei mir
gespürt. Verstehen Sie?»
«Passiert so etwas öfter? Ich meine ... ist das etwas, was Sie kontrollieren müssen?»
«Ich glaube nicht, dass Kontrolle etwas damit zu tun hat. Ich bin nicht mal ein aggressiver Charakter. Wirklich, das bin ich nicht. Als ich im Knast war, habe ich nie extrem reagiert, wenn mir jemand was wollte.»
«Und was ist mit der Sache, die Sie ... dort reingebracht hat?»
Es war, als wären vor Brigids Augen zwei Stahljalousien heruntergelassen worden.
«Ich habe gehört, dass Sie nie darüber gesprochen haben.»
«Was soll das? Möchten Sie irgendwelches Psycho-Gejammere hören? Vergessen Sie’s. Ich suche keine Ausreden, ich bade nicht im Selbstmitleid, und ich erlaube mir nicht, Mitleid mit ...
ihnen
zu haben. Ich habe meine Zeit abgesessen, und damit hat sich’s.»
Es klang wie eine Litanei, die sie schon oft heruntergebetet hatte.
«Und ich bin nicht geisteskrank wie meine Mutter, und ich bin keine Säuferin wie meine Großmutter.»
«Ihre Mutter war ...»
«Meine Mutter hat als Siebenjährige versucht, ihre Schwester umzubringen. Sie ist von meinem Vater aus einer psychiatrischen Klinik gerettet worden. Nicht lange nach meiner Geburt hat sie sich im Badezimmer die Pulsadern aufgeschnitten. Darüber brauchen wir nicht weiter zu sprechen. Ich bin nicht verrückt.»
Was?
«Sie sind sogar vermutlich eher übermäßig rational», sagte Merrily.
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