Die Nacht Der Jaegerin
und Merrily gab ihr Feuer. «Der Grund, aus dem ich Clancy von Brigid erzählt habe, und der ursprüngliche Grund, aus dem wir hierhergekommen sind, war, dass sich ein Junge aus Clancys Schule unheimlich darüber lustig gemacht hat, wie weit sie mit dem Stoff hintendran ist. Wir sind wegen meiner Jobs ziemlich oft umgezogen und waren gerade aus Cornwall gekommen, und sie hinkte hinterher, und dieser Junge hat sie ständig gepiesackt. ‹Du bist ja richtig zurückgeblieben, bist wohl debil, was?›, und solche Sachen hat er gesagt. In Wahrheit fand er sie vermutlich toll – man weiß ja, auf was für eine schräge Art viele Jungs in dem Alter ihre Zuneigung zeigen. Woher hätte er wissen sollen, was für einen empfindlichen Punkt er mit seinen Sticheleien getroffen hatte? Jedenfalls hat sie ihm einen Kuli ins Auge gerammt.»
«Oh.»
«Und ich meine
richtig
ins Auge gerammt. Das war keiner von diesen Unglücksfällen, wie sie in der Schule eben vorkommen. Ein paar Schüler waren mittags zum Imbiss gegangen, und sie ist auf der Straße auf ihn zugegangen, als er gerade seine Pommes aß, und dann hat sie ihm einfach den Kuli ins Auge gestoßen. Und zwar mit Kraft. Sie konnten seine Sehkraft auf dem Auge nur durch eine Operation retten. Die Polizei hat ein paar Fragen gestellt, aber es wurde keine Anklage erhoben. Allerdings ist die Geschichte natürlich trotzdem rumgegangen, und dann hat mich Ellie angerufen, die mich damals verhaftet hatte. Und sie hat gefragt, was ich gegen dieses Verhalten unternehmen will. Dabei wusste sie noch nicht mal die Hälfte. Sie wusste nichts von Hattie. Aber sie sah eine gefährliche Parallele. Ich vermute, Sie können sich denken, was ich meine.»
«Ich glaube schon.»
Stuart hat ein Auge verloren, wussten Sie das?
«Also haben Clan und ich uns im Frühling mal einen Abend zusammengesetzt, und ich habe ihr alles erzählt. Wir haben bis zum Hellwerden geredet, und dann sind wir ins Bett gegangen – zusammen, wie Schwestern. Und sie ist nie mehr in diese Schule zurück, und danach sind wir hier runter gekommen, um bei Jeremy zu wohnen.»
Brigid Parsons richtete sich auf, warf einen unbestimmten Blick durch den Raum und beugte sich dann vor, um ihre Zigarettenasche in den Kamin zu schnippen. Merrily registrierte, dass sie die ganze Zeit geredet hatte, seit die Polizistin hinausgegangen war.
«Das war mal eine richtig vertrauenerweckende Gesprächseröffnung, was?», sagte Brigid.
Merrily fühlte sich sehr merkwürdig. Sie hatten zusammengesessen wie zwei alte Freundinnen, die sich erzählten, wie das Leben so gelaufen war. Die sogenannte Frau Gottes und die Frau, die als Teenager einen Jungen in einen Schuppen gelockt und ihm – wie lautete die unglaubliche Zahl noch? –
siebenundvierzig
Stichwunden beigebracht hatte.
«Sie haben mich nicht offiziell verhaftet», sagte Brigid. «Oder meine ich eher, unter Anklage gestellt? Bei jemandem wie mir wissen sie nicht, wie sie vorgehen sollen. Der rothaarige Liverpooler sagte: ‹Wir wollen Ihnen nur ein paar Fragen stellen, das ist alles.› Und ich habe einfach gesagt: ‹Ich habe es getan.› Und er:
‹Wie bitte?›
Es war klar, dass er lieber von mir gehört hätte: ‹Verpiss dich, du Scheißbulle, ihr habt überhaupt nichts gegen mich in der Hand›, wie er es vermutlich gewohnt ist. Und dann starrt er mich an, als könnte er es nicht erwarten, dass ich mich ausziehe, damit er meine Kleider in einen Beweismittelbeutel stecken kann.»
«Sie haben Bliss erzählt, Sie hätten Dacre umgebracht?»
«Ganz genau.»
«Und haben Sie es getan?»
«Falls er bei seinem Absturz nicht noch einen Herzinfarkt hatte, dann schon.»
«Und warum?»
«Warum
spielt keine Rolle.
Er ist tot. Ich habe ihn umgebracht. Ende der Geschichte. Ich will keine Absolution von Ihnen. Und darüber will ich auch gar nicht mit Ihnen sprechen. Ich möchte über Clancy sprechen. Kann ich noch eine haben?»
«Bedienen Sie sich.»
«Danke.» Brigid nahm das Feuerzeug von dem Beistelltisch, zündete sich eine Zigarette an und lehnte sich in ihrem Sessel zurück. «Merrily – das ist ein sehr altmodischer Name. Die meisten Pfarrerinnen scheinen ja diese einsilbigen Lesbennamen zu haben.»
«Ich bin nicht lesbisch.»
«Das weiß ich. Sie sind mit diesem Songschreiber zusammen, der psychisch krank war und nicht so richtig weiß, wie es weitergehen soll.»
«Er war nicht psychisch krank. Und hätte es etwas geändert, wenn ich lesbisch wäre?»
«Sehen Sie
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