Die Nacht Der Jaegerin
sichtbar wurde. Dann kam Jane mit einem schiefen und leicht besorgten Lächeln.
«Denn sooft ihr von diesem Brot esset
und von diesem Kelch trinket,
sollt ihr des Herrn Tod verkündigen,
bis dass Er kommt.»
Brigid schloss die Augen, als sie an der Reihe war.
«Der Leib Christi.»
Wenn sie überhaupt schon einmal zur Kommunion gegangen war, musste das lange her sein. Ihre Hände hoben sich, griffen nach dem Kelch, und die Ärmel ihrer schwarzen Bluse rutschten zurück, sodass Merrily die tiefen, frischen Schürfwunden sehen konnte, in denen das Blut noch kaum getrocknet war.
Gott ...
Sie war so erschüttert von der Bedeutung dieser Verletzungen, dass sie kaum mitbekam, wie Brigid weiterging und Clancy an ihre Stelle trat.
Hatte Ben das bemerkt? Oder Jane? Hatte sie sich die Wunden nur eingebildet? Waren sie eine Halluzination gewesen? Im Zusammenhang mit der Kommunion konnte so etwas durchaus vorkommen. Merrily begann über Clancys mattgoldenes Haar hinweg leise um Führung und Unterstützung zu beten.
Da fiel ihr Blick auf Jeremy Berrows, der in der ersten Reihe saß und mit aufgerissenen Augen über Merrily hinweg nach oben und dann wieder zu Merrily sah.
«Das Blut Christi.»
«Mom», sagte Jane schwach.
Merrily wandte sich um und sah, was vielleicht auch Jeremy sah.
Sein Umriss konnte von den Schneeverwehungen und den gezackten kiefernbestandenen Gipfeln der Hügel hervorgerufen worden sein, deren Schatten die aufgehende Sonne auf das Fenster warf. Aber ja, o Gott, sie sah ihn auf dem Glas entlangkriechen, mit seinen schwarzen Tatzen, und sie sah, wie er seine dunkle Schnauze ins Rot hob, wo die ersten Sonnenstrahlen durch das Glas brachen. Sie sah ihn, und er setzte zum Sprung an.
Nein!
Ein heiseres Keuchen ließ sie wieder zum Altar zurückwirbeln und zu dem dicken, dunkelblonden Haar und dem
Blut Christi
– Clancys Hände um den Kelch, Clancys Lippen ...
Sie stand einfach da und schaute völlig verwirrt zu, während Clancy so zu zittern begann, dass Merrily an einen Orgasmus denken musste. Sie warf ihren Kopf zurück, trank den gesamten Wein aus und warf Merrily ein grauenvolles Lächeln zu.
Und dann, in der eisigen Stille, rülpste Clancy und spuckte den Wein in hohem Bogen wieder aus.
Hüaa!
53 Alles ganz normal
Es war, als hätte jemand eine dieser alten viktorianischen Spieluhren aufgezogen, so gleichzeitig setzte überall wieder Bewegung ein. Brigid Parsons sprang auf, und Alma, erfahren in der Bewachung Gefangener, hinderte sie daran, nach vorn zu stürmen, während Jeremy und Jane und Bliss gleichzeitig losliefen und eine Altarkerze von selbst ausging.
Merrily stellte sich zwischen Clancy und die anderen. Sie rief Brigid zu:
«Ist sie getauft?»
Dann wurde ihr klar, dass sie nicht gerufen, sondern die Worte nur mit dem Mund geformt hatte, und Brigid schüttelte den Kopf.
«Das macht nichts», sagte Merrily ruhig. «Das ist kein Problem. Wir kümmern uns darum.» Sie lächelte Clancy zu, und Clancy lächelte schwach und mit leerem Blick zurück. «Clancy, ist das okay für dich?»
Ganz entspannt bleiben. Alles herunterspielen, das konnte entscheidend sein, denn wenn das Mädchen Angst bekäme und sich absetzte ...
Clancy antwortete nicht, aber sie ging auch nicht weg. Sie stand einfach mit diesem Wenn’s-doch-schon-vorbei-wäre-Ausdruck vor Merrily. Nicht genervt oder feindselig, nur völlig ausdruckslos.
Und das war natürlich gefährlich. Merrily ergriff Clancys Hände und spürte einen Adrenalinschub, Endorphine, knisternde Elektrizität.
Lass dich nicht ablenken. Konzentrier dich.
«Schsch», sagte sie und senkte langsam ihre Hände, um das Energieniveau im Raum zu senken, das ins Negative umzuschlagen drohte.
Die Leute setzten sich wieder auf ihre Stühle, die Spieluhr war abgelaufen.
Merrily drehte sich zum Altar um und nahm die Karaffe in die Hand. Hier ging es ums Wesentliche. Kein Getue ... alles einfach und klar ... die Grundlagen. Trotzdem durfte sie nicht zu schnell vorgehen. Sie musste es entspannt, aber konzentriert machen, weil ... nun ja, weil das hier eine mittelalterliche Taufe war. Dies war der Exorzismus.
Sie schaute Clancy ins Gesicht. Das Kind mied ihren Blick, was nicht schwer war. Clancy war ein ganzes Stück größer als Merrily. Clancy mied ihren Blick, zog sich leicht zurück, machte nicht mit. Der ererbte Fluch einer berühmt-berüchtigten Mutter.
Im Namen des Vaters, des Sohnes, des Heiligen ...
Als sich Clancy
Weitere Kostenlose Bücher