Die Nacht Der Jaegerin
aufrichtigen Geste die Arme aus.
«Es lag an meinem damaligen Unverständnis dafür, dass in diesem speziellen Fall nicht nur Catherine Heilung nötig hatte. Ich wusste nicht ... ich wusste nichts von der Heilung der Toten.»
8 Daheim bei den Vaughans
Jane wurde langsam kribbelig. Antony Largo hatte gefragt:
Worin liegt das gegenwärtige Interesse? Worin besteht der aktuelle Aufreger?
Und jetzt hatte er seine Antwort: Es gab hier ein richtiges Geheimnis, besser verborgen als das tückischste Moorloch und viel subtiler als ein Topf Leuchtfarbe. Das alles schrie einfach nach einem Dokumentarfilm. Aufgeregt ging Jane mit den beiden auf die Kirchentür von
St. Mary the Virgin
zu.
Man hatte über den Friedhof und die englische Stadt hinweg einen Blick auf die walisischen Hügel und einen Teil des Hergest Ridge, des Höhenzugs, der wie eine Halbinsel nach Wales hineinragte. Inzwischen hatte sich der Himmel zugezogen, die Wolken ballten sich um die Sonne, die nur noch als hellerer Kern am Ende eines grauen Tunnels zu erkennen war.
«Hier oben war früher eine Normannenburg», sagte Ben. «Wurde aber schnell wieder aufgegeben. Anscheinend diente die Kirche im dreizehnten Jahrhundert selbst als Verteidigungsbau gegen die Waliser.»
«Die Leute haben sich in die Kirche zurückgezogen?», fragte Jane mit einem Blick auf den gedrungenen Kirchturm.
«Der Turm war ursprünglich nicht mit dem Hauptteil der Kirche verbunden», sagte Ben. «Seine Wände sollen beinahe zwei Meter dick sein.»
«Jetzt muss ich den Reiseführer wenigstens nicht mehr selber kaufen», sagte Antony, als er Ben in die Kirche folgte. «Vielen Dank.»
Jane war noch nie in dieser Kirche gewesen. Sie hatte einen schlichten Zweckbau erwartet und war nun von der Größe des leuchtenden Raumes überrascht, in dem das Licht, das durch die Buntglasfenster fiel, allem eine rötliche, warme Atmosphäre verlieh.
Das Alter der Kirche war für Besucher auch durch eine Tafel sehr gut ersichtlich, auf der sämtliche Pfarrer Kingtons aufgeführt waren, und zwar beginnend mit den Tagen, an denen sich die Gemeindemitglieder vor den plündernden Walisern hinter die dicken Mauern zurückgezogen hatten.
Hugh Chabbenor —
1279
Rhys ap Howell —
1287
John Walwyn —
1313
Ben schlenderte mit den Händen auf dem Rücken durch das getönte Licht. «Im Mittelalter soll es noch viel toller gewesen sein. Mit Wandmalereien und schnörkeligen Gittern.»
Antony schüttelte den Kopf und warf Jane ein Lächeln zu, in dem immerhin eine Spur von Zuneigung für Ben zu liegen schien.
Ben stellte sich neben einen Tisch mit Prospektmaterial an der Tür und sah sie an. Jane ahnte, dass er wieder in die Holmes-Rolle geschlüpft war.
«Und ... habt ihr sie schon entdeckt?»
«Was?» Jane sah sich um.
«Immer so theatralisch wie möglich», murmelte Antony.
Er stand mit Jane am Taufbecken links vom Eingang. Ben trat einen Schritt zur Seite und deutete nach rechts vorne in den Kirchenraum. Dort herrschte ein anderes, ein kühleres Licht, das durch ein mit einem Holzgitter versehenes Buntglasfenster fiel. Das Fensterglas war hauptsächlich in Blau und Weiß gehalten und mit feinen Goldmustern durchwirkt; das Licht war diffus.
Jane bemerkte, wie anders Licht, Farben und Stimmung in diesem Winkel waren, der offenkundig als Seitenkapelle diente. Und dann sah sie dicht beieinander zwei Köpfe von hinten: Ein alabasternes Paar lag auf einem harten, weißen Bett.
«Darf ich vorstellen», sagte Ben leise, «Thomas und Ellen.»
Es war einer dieser Momente, in dem die Stille nachzuhallen schien. Die Köpfe strahlten Überlegenheit, Arroganz,
hauteur
aus. Zuvor hatte Jane sie nicht einmal wahrgenommen, und nun konnte sie nichts anderes mehr sehen als dieses spektakuläre weißgraue Grabmal mit den beiden lebensgroßen Steinplastiken, die mit dem vollen Bewusstsein ihrer hohen Stellung in der mittelalterlichen Kirche von
St. Mary the Virgin
zu liegen schienen.
«Daheim bei den Vaughans», sagte Ben. «Gemütlich, was?»
Das Doppelgrabmal reichte Jane ungefähr bis zur Brust. Auf der einen Längsseite waren acht Figuren – möglicherweise Mönche oder auch Engel – aus dem Stein gemeißelt, die hinter Schilden standen, um die sterblichen Überreste zu bewachen.
Black Vaughan lag näher zum Altar hin, seine im Gebet zusammengelegten Hände ragten von seiner Alabasterbrust auf, seine Miene war ausdruckslos.
Jane fiel sofort auf, dass zu Vaughans Füßen ein
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