Die Nacht der Wölfin
er hatte gar nicht vor, uns mit hineinzuziehen, und dachte einfach, es wäre ein guter Ort, um die Leiche loszuwerden.«
»Sie sind sich ganz sicher, dass es da keinen gibt, den ihr irgendwie geärgert habt?«, fragte Morgan, während er sich vorbeugte. »Vielleicht irgendwer, der glaubt, Sie schulden ihm Geld? Vielleicht ein eifersüchtiger Ehemann« – Morgan warf einen raschen Blick auf mich – »oder eine Ehefrau?«
»Nein und nein. Wir spielen nicht und haben auch nirgends Kredite aufgenommen. Und was die andere Frage angeht, ich bin sicher, dass mich niemand jemals in den Single-Bars hat herumhängen sehen, und Elena und Clayton haben weder die Neigung noch die Energie, sich außerhalb ihrer Ehe zu amüsieren. Bear Valley ist eine kleine Stadt. Wenn es Gerüchte über uns gäbe, würden Sie viel präziser fragen.«
Morgan antwortete nicht. Stattdessen starrte er Jeremy zwei geschlagene Minuten lang an. Vielleicht funktionierte die Taktik bei einem Sechzehnjährigen, den man der Beschädigung von Telefonzellen verdächtigte, aber einen einundfünfzigjährigen Rudelalpha brachte sie nicht aus der Ruhe. Jeremy starrte einfach zurück; sein Gesichtsausdruck war gelassen und offen.
Nach ein paar Minuten sagte er: »Es tut mir Leid, dass Sie zwei Tage hintereinander hier herausfahren mussten, aber ich weiß es zu schätzen, dass Sie herkommen und uns Bescheid sagen.« Jeremy stellte die Tasse ab und schob sich nach vorn auf die Sesselkante. Als Morgan und O'Neil nicht reagierten, stand er auf und sagte: »Wenn das alles ist –«
»Wir werden uns noch mal auf dem Grundstück umsehen«, sagte Morgan schließlich.
»Selbstverständlich.«
»Und vielleicht müssen wir uns mit Ihren Gästen unterhalten. Ich würde vorschlagen, dass keiner von ihnen seinen Besuch vorzeitig abbricht.«
»Sicher nicht.«
Morgan versuchte es mit einem weiteren einminütigen Starren. Als Jeremy nicht mit der Wimper zuckte, wuchtete er sich aus seinem Sessel.
»Ein Killer hat diese Leiche auf Ihrem Grundstück abgeladen«, sagte er. »Wenn ich an Ihrer Stelle wäre, würde ich scharf nachdenken, wer das getan haben könnte, und ich würde bei uns anrufen, wenn Ihnen irgendeine mögliche Antwort dazu einfällt.«
»Ich würde nicht zögern«, sagte Jeremy. »Ich hoffe, dass derjenige, der Mr. Braxtons Leiche bei uns abgeladen hat, nichts Persönliches gegen uns hat. Aber wenn das doch der Fall sein sollte, möchte ich nicht darauf warten, was er als Nächstes tut. Niemand hier hat den Wunsch, mit einem Killer zu tun zu bekommen. Wir sind mehr als glücklich, wenn die Polizei das tut.«
Morgan grunzte und kippte den letzten Rest Kaffee hinunter.
»Sonst noch etwas?«, fragte Jeremy.
»Ich würde eine Weile nicht in den Wäldern hier herumwandern.«
»Wir haben schon aufgehört damit«, sagte Jeremy. »Aber vielen Dank für die Warnung. Elena, würdest du unsere Gäste an die Tür bringen?«
Ich tat es. Keiner der beiden sagte ein Wort zu mir, von Morgans kurzem Abschied abgesehen. Als Frau war ich ein Verhör offenbar nicht wert.
Nachdem die Polizisten fort waren, stellten wir fest, dass Clay, Nick und Antonio ebenfalls fehlten. Wäre es nur Clay gewesen oder sogar Clay und Nick, hätten wir uns Sorgen gemacht. Aber weil Antonio mitgegangen war, konnten wir sicher sein, dass sie nicht zu einem improvisierten Rachefeldzug nach Bear Valley aufgebrochen waren.
Das Polizeiauto war keine zehn Minuten fort, als der Mercedes die Auffahrt heraufkam. Nick sprang auf der Beifahrerseite aus dem Auto. Ich achtete nicht darauf, wer fuhr; meine gesamte Aufmerksamkeit galt der großen Papiertüte, die Nick in der Hand hielt. Frühstück. Vielleicht nicht gerade dampfend heiß nach der Autofahrt von der Raststätte, aber ich war zu hungrig, als dass es mich gestört hätte.
Eine Viertelstunde später war die Tüte leer; von ihrem Inhalt waren nur winzige Krümel und Fettspuren auf den Tellern übrig geblieben, die verstreut auf dem Tisch im Wintergarten standen. Nach dem Essen erzählte Jeremy den anderen, was die Polizisten uns erzählt hatten. Ich erwartete die ganze Zeit, dass Clay nun auf seine erwiesene Unschuld hinweisen und von mir eine Entschuldigung verlangen würde. Er tat es nicht. Er hörte Jeremy zu und half Antonio dann, den Tisch abzuräumen, während ich mich ins Arbeitszimmer flüchtete – angeblich um die Zeitungen zu lesen, die sie aus der Stadt mitgebracht hatten.
Clay brauchte exakt drei Minuten, um mich dort
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