Die Nacht der Wölfin
malte. Keins von beiden könnte man als typisches Werwolfhobby bezeichnen. Wie dem auch sei, als ich hinters Haus ging und ihn dort schießen sah, entschied ich, dass der Zeitpunkt für bohrende Fragen nach seinen Plänen schlecht gewählt war. Überlebensregel Nummer zweiundzwanzig: Man sollte nie einen bewaffneten Mann reizen.
Ich ließ Jeremy in Frieden und ging hinauf, um etwas zu schlafen. Ein paar Stunden später wachte ich auf. Das Haus war still; sämtliche Türen im ersten Stock waren geschlossen, als holten auch alle anderen den versäumten Schlaf nach. Ich war auf dem Weg zur Küche, als Clay aus dem Arbeitszimmer kam. Seine Augen waren blutunterlaufen und dunkel. Obwohl er erschöpft war, schlief er nicht. Nicht jetzt – zwei seiner Brüder aus dem Rudel waren tot, sein Alpha war verletzt, und keinen von ihnen hatte er gerächt. Wenn Jeremy uns seine Pläne verriet, würde Clay sich ausruhen, und wenn es nur wäre, um sich vorzubereiten.
Er trat mir in den Weg. Als ich mich vorbeizudrücken versuchte, stemmte er auf beiden Seiten die Hände gegen die Flurwand.
»Waffenstillstand?«, fragte er.
»Was auch immer.«
»Ich liebe diese klaren Antworten. Ich nehm's mal als ein Ja. Nicht, dass wir mit unserer kleinen Diskussion fertig wären, aber für den Moment lasse ich's ruhen. Sag mir, wenn wir weitermachen sollen.«
»Sag mir, wenn Satan eine Schneeballschlacht anfängt.«
»Mach ich. Mittagessen?«
Als ich schließlich nickte, trat er zur Seite und winkte mich in die Küche. Ich spürte, dass er innerlich kochte, aber er hatte ein zufriedenes Gesicht aufgesetzt, und so beschloss ich es zu ignorieren. In einer Krise waren wir beide in der Lage, genug innere Reife aufzubringen, um die Stabilität des Rudels nicht mit unseren Streitereien zu gefährden. Zumindest konnten wir sie zeitweise vortäuschen.
Wir stellten ein kaltes Mittagessen zusammen und beluden Platten mit kaltem Fleisch und Brot und Früchten – wenn die anderen aufwachten, würden sie Hunger haben. Dann setzte ich mich in den Wintergarten und füllte mir einen Teller. Clay tat das Gleiche. Keiner von uns sagte ein Wort, während wir aßen. Das war zwar nicht ungewöhnlich, aber das Schweigen hatte etwas Totes an sich, das mich schneller essen ließ, nur um fertig zu werden und aus dem Zimmer zu können. Als ich zu Clay hinübersah, erledigte er sein Essen genauso schnell und mit genauso wenig Vergnügen. Wir waren zur Hälfte fertig, als Jeremy und Antonio hereinkamen.
»Wir brauchen Vorräte«, sagte ich. »Ich bin sicher, wir haben alle an Besseres zu denken, aber das wird sich schnell ändern, wenn wir auf dem Trockenen sitzen. Ich fahre in die Stadt und besorge Essbares.«
»Ich rufe an und lasse ein paar Sachen zusammenstellen«, sagte Jeremy. »Immer vorausgesetzt, der Ärger mit der Polizei hat die Arrangements nicht umgestoßen. Du solltest lieber Geld besorgen, für den Fall, dass meine Schecks nicht mehr willkommen sind. Und natürlich kommt jemand mit. Niemand verlässt mehr allein das Haus oder bleibt allein hier.«
»Ich gehe«, sagte Clay um einen Bissen Honigmelone herum. »Auf dem Postamt liegt ein Paket für mich.«
»Ganz bestimmt«, sagte ich.
»Es stimmt«, sagte Jeremy. »Der Briefträger hat gestern eine Karte gebracht.«
»Ich hab ein paar Bücher aus England bestellt«, erklärte Clay.
»Die du gerade jetzt brauchst«, sagte ich. »Leichte Lektüre zur Entspannung vom Jagen und Töten.«
»Sie sollten jedenfalls nicht auf der Post herumliegen. Irgendwer könnte misstrauisch werden.«
»Wegen anthropologischen Fachbüchern?«
Antonio lehnte sich über den Tisch und griff nach einer Hand voll Trauben. »Ich muss ein paar Sachen faxen. Ich komme mit euch beiden und mache den Unterhändler.«
Ich schob meinen Stuhl zurück. »Na, dann brauche ich ja nicht mitzukommen, oder? Ich bin sicher, ihr zwei könnt die Einkäufe allein erledigen.«
»Aber du warst es doch, die gehen wollte«, sagte Clay.
»Ich hab's mir anders überlegt.«
»Du gehst«, sagte Jeremy. »Ihr geht alle drei. Ihr könnt die Abwechslung brauchen.«
Antonio grinste. »Und Jeremy könnte ein paar Stunden Ruhe und Frieden brauchen.«
Als ich aufblickte, hätte ich schwören können, dass ich Jeremy die Augen verdrehen sah, aber es war so schnell vorbei, dass ich mir nicht ganz sicher war. Antonio lachte und setzte sich wieder hin, um zu essen. Ich wollte gerade wieder zu argumentieren anfangen, als er eine Anekdote über einen
Weitere Kostenlose Bücher