Die Nacht der Wölfin
Ich rief ihn zurück. »Wie lief's?«, fragte ich, als er abnahm.
»Nicht gut. Ich habe wegen dem Abendessen angerufen.«
»Du schaffst's nicht?«
»Nein, im Gegenteil – ich wollte dich heute Abend ausführen. Irgendwas Nettes.« Er machte eine Pause. »Nur wir zwei.«
»Phantastisch.«
»Das wäre kein Problem?«
»Nicht die Spur. Clay kann sich allein amüsieren. Er geht sowieso nicht gern groß essen. Und außerdem hat er die Kleider dafür nicht mitgebracht.«
»Was trägt er denn bei Vorstellungsgesprächen?«
Oh, Mist. »Akademische Jobs«, sagte ich. »Die sind da eher ungezwungen.«
»Gut.« Wieder eine Pause. »Und ich dachte, nach dem Essen könnten wir vielleicht noch irgendwo hingehen, eine Show oder so. Vielleicht finden wir irgendwas mit ermäßigten Tickets.«
»An einem Wochenende mit Feiertag wird das wahrscheinlich gar nicht so einfach. Aber irgendwas finden wir.«
»Ich dachte, wir könnten« – Räuspern – »allein gehen. Nur wir zwei.«
»So habe ich das auch verstanden. Soll ich reservieren? Karten besorgen?«
»Nein, das mache ich schon. Ich müsste eigentlich um sechs da sein. Vielleicht sagst du Clayton besser, dass es heute spät werden kann. Abendessen, eine Show, vielleicht noch etwas trinken oder einen Kaffee…«
»Es klingt toll.«
Philip schwieg einen Augenblick, als erwartete er, ich würde noch etwas hinzufügen. Als ich nichts sagte, verabschiedete er sich und legte auf.
Das ersehnte Abendessen entwickelte sich zu einer weiteren Alptraummahlzeit. Nicht, dass etwas schief gegangen wäre. Ich wünschte mir beinahe, etwas würde schief gehen. Wäre die Reservierung verschlampt worden oder das Essen kalt gewesen, hätten wir wenigstens ein Thema gehabt. So aber saßen wir über zwei Stunden lang da und benahmen uns wie zwei Leute bei einem ersten Rendezvous, nachdem bereits klar ist, dass kein zweites zu Stande kommen wird. Wir schienen nicht zu wissen, was wir zueinander sagen sollten. Oh, natürlich redeten wir. Philip erzählte mir von der Kampagne für die Appartements am Seeufer, an der er arbeitete. Ich erzählte eine amüsante kleine Anekdote über einen Ausrutscher, den sich der Premierminister dieser Tage geleistet hatte. Wir sprachen über die Pläne der Stadtverwaltung, der Hafenfront ein neues Gesicht zu verpassen. Wir beschwerten uns beieinander über die angekündigte Anhebung der Fahrpreise im öffentlichen Nahverkehr. Wir erörterten die Aussichten der Jays bei den bevorstehenden Baseballspielen. Kurz gesagt, wir sprachen über all die Dinge, über die zwei flüchtig miteinander bekannte Leute beim Essen sprechen konnten. Schlimmer noch, wir sprachen über diese Dinge mit der Verzweiflung zweier flüchtig Bekannter, die panische Angst vor langen Redepausen haben. Hinter uns trompeteten drei Jungs, die kaum über das Aknealter hinaus waren, ihre Erfolge mit irgendwelchen Dotcom-Aktien in einer Lautstärke durchs Restaurant, dass man sie vermutlich noch auf der Straße verstand. Ich war drauf und dran, die Augen zu verdrehen und eine entsprechende Bemerkung zu machen, und hielt dann inne. Würde der Kommentar zu negativ klingen? Zu abfällig? Es war die Sorte von Bemerkung, die Clay zu schätzen wusste. Aber Philip? Ich war mir nicht sicher, und so hielt ich den Mund.
Als der Kellner unsere Kaffeetassen nachfüllte, räusperte Philip sich. »Und«, sagte er, »was meinst du, wie lang dein Cousin noch bleibt?«
»Wahrscheinlich noch ein paar Tage. Ist das ein Problem? Ich weiß, er kann sich widerlich aufführen –«
»Nein, nein. Das ist es nicht.« Er brachte ein blasses Lächeln zustande. »Ich muss zugeben, er ist nicht gerade die beste Gesellschaft, aber ich werd's überstehen. Es ist nur so … merkwürdig.«
»Merkwürdig?«
Philip zuckte die Achseln. »Wahrscheinlich liegt es daran, dass ihr beide euch schon so lange kennt. Da ist eine echte … ich weiß nicht. Ich habe das Gefühl…« Er schüttelte den Kopf. »Es liegt an mir, Liebes. Ich komme mir ein bisschen ausgeschlossen vor. Nicht gerade eine besonders erwachsene Reaktion. Ich weiß nicht…« Er trommelte mit den Fingern gegen die Kaffeetasse und sah mir dann in die Augen. »War da mal irgendwas…« Er verstummte.
»Was?«
»Ach, nichts.« Er trank einen Schluck Kaffee. »Macht er Fortschritte bei der Stellensuche?«
»Er hat ein paar Sachen an der Universität angeleiert. Sobald sich da etwas tut, wird er ausziehen.«
»Er bleibt also in Toronto?«
»Eine Weile
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