Die Nacht der Wölfin
und sie telefonieren hinter mir her. Aber mach dir keine Gedanken, Liebes. Ich habe gesagt, ich frühstücke mit dir und komme danach.« Er zog sich einen Stuhl heran, setzte sich und wandte sich an Clay. »Wie geht es voran mit der Jobsuche?«
***
Ich hatte mich einverstanden erklärt, Clay zum Mittagessen zu treffen. Er hatte in einem Feinkostladen einen Lunchkarton besorgt, und wir gingen damit auf das Universitätsgelände. Es war nicht gerade der Platz, den ich mir ausgesucht hätte. Die Universität war der Ort, wo ich Clay kennen gelernt hatte, wo ich mich verliebt hatte. Sie war zugleich der Ort, an dem ich hintergangen, belogen und letzten Endes verraten worden war. Als mir aufging, wo Clay an diesem Tag essen wollte, sträubte ich mich. Ich ließ mir ein Dutzend Entschuldigungen und ein Dutzend Alternativen einfallen, aber keine davon brachte ich über die Lippen. Nach dem, was er über Stonehaven gesagt hatte, war es mir peinlich zuzugeben, dass ich die Universität nicht sehen wollte. Sie war nur ein Ort, nur ein Haufen Ziegel und Mörtel. Aber vielleicht war es mir ja auch nicht einfach bloß peinlich. Vielleicht wollte ich nur nicht zugeben, wie viele Emotionen ich mit gerade diesem Haufen von Stein und Mörtel verband. Vielleicht wollte ich Clay nicht wissen lassen, wie genau ich mich erinnerte und wie viel mir all das bedeutete. Und so sagte ich nichts.
Wir saßen auf Bänken in der Nähe des University College. Die Examen waren fast vorbei, und nur eine Hand voll Studenten schlenderte den King's College Circle entlang, als sei die Seminarhektik nur noch eine verblassende Erinnerung. Auf dem Rasen spielten ein paar junge Männer Fußball; ihre Jacken und Rucksäcke lagen auf einem Haufen neben dem Pfosten. Während wir aßen, erzählte Clay von seinem Artikel über die Jaguarkulte Südamerikas, und meine Gedanken trieben in der Zeit zurück zu früheren Gesprächen unter diesen Bäumen, zwischen diesen Gebäuden. Vor meinem inneren Auge konnte ich Clay noch sehen vor all den Jahren; er saß an einem Picknicktisch auf der anderen Seite der Straße, im Queen's Park, aß sein Mittagessen und redete, so vollkommen auf uns beide konzentriert, dass Frisbees über seinen Kopf hinwegpfeifen konnten, ohne dass er es bemerkte. Er saß immer in der gleichen Stellung, die Beine unter dem Tisch ausgestreckt und die Füße hinter meine Füße gehakt, die Hände in unaufhörlicher Bewegung; sie betonten und unterstrichen, als müsse ein Teil von ihm ständig in Bewegung sein. Seine Stimme war noch die gleiche, so vertraut inzwischen, dass ich dem Rhythmus in Gedanken folgen und jeden Wechsel der Tonlage, jede Betonung vorhersagen konnte.
Schon damals hatte er meine Gedanken und Ansichten hören wollen. Keine Eskapade meines jungen Geistes war zu trivial oder zu langweilig für ihn. Im Lauf der Zeit hatte ich ihm von meiner Vergangenheit erzählt, meinen Plänen, meinen Ängsten, Hoffnungen und Unsicherheiten, all den Dingen, von denen ich mir nicht hatte vorstellen können, dass ich sie jemals mit jemandem teilen würde. Ich hatte mich immer davor gefürchtet, mich jemandem zu öffnen. Ich wollte eine starke, unabhängige Frau sein, nicht ein heimatloses, traumatisiertes Wesen mit einer Vergangenheit, die geradewegs aus einem Dickensschen Melodrama hätte stammen können. Ich verschwieg meinen Hintergrund, und wenn jemand davon erfuhr, dann tat ich so, als mache mir das alles nichts aus, habe keinerlei Auswirkungen auf mich. Mit Clay war alles anders geworden. Ich wollte, dass er alles über mich wusste; ich wollte sicher sein können, dass er wusste, wer ich war, und mich trotzdem liebte. Er hatte zugehört und war geblieben. Mehr noch, er hatte mein Vertrauen erwidert. Er hatte mir von seiner Kindheit erzählt, davon, dass er seine Eltern bei irgendeiner Katastrophe verloren hatte, an die er sich nicht erinnern konnte, dass er adoptiert worden war, sich an der Schule nicht hatte eingliedern können, verlacht und gemieden worden war, in Schwierigkeiten geraten und von der Schule ausgeschlossen, so oft, dass ich den Eindruck hatte, er habe Schulen durchgemacht wie ich Pflegefamilien. Er hatte mir so viel erzählt, dass ich sicher gewesen war, ihn vollständig zu kennen. Dann fand ich heraus, wie gründlich ich mich geirrt hatte. Manchmal schmerzte die Täuschung mehr als der Biss.
Turbulenz
Als Philip von der Arbeit kam, war es nach Mitternacht. Clay und ich sahen uns einen der Spätfilme an. Ich hatte mich
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