Die Nacht der Wölfin
doch die ganze Woche drauf gewartet, mir sagen zu können, was du von Philip hältst. Na los. Raus damit.«
»Meine ehrliche Meinung?«
Ich biss die Zähne zusammen. »Ja.«
»Sicher?«
Ich knirschte mit den Zähnen. »Ja.«
»Ich finde, er ist ein netter Kerl.«
Die Zähne begannen mir wehzutun. »Was soll denn das heißen?«
»Genau das, was ich sage, Darling. Ich finde, er ist ein netter Kerl. Nicht vollkommen, aber wer ist das schon? Ihm liegt ganz offensichtlich an dir. Er versucht rücksichtsvoll zu sein. Er ist sehr geduldig. Wenn ich an seiner Stelle wäre, ich hätte meinen Arsch schon vor Tagen aus dem Koffer getreten. Und er ist unweigerlich höflich. Ein netter, anständiger Kerl.«
»Aber?«
»Aber es wird nichts werden.« Er hob die Hand, bevor ich protestieren konnte. »Komm schon, Elena. Du weißt doch, warum du dir gerade diesen Mann ausgesucht hast, oder? Und ich meine damit nicht, weil du ein Zuhause und eine Familie und so weiter möchtest. Glaubst du, ich wüsste nicht, dass du das willst? Ich weiß es. Und ich würde dir sagen, dass das alles genau vor deiner Nase ist, aber du würdest nicht zuhören. Die Frage ist: Warum hast du dir gerade diesen Typ ausgesucht, um diese Wunschträume zu erfüllen? Du weißt es doch, oder, Darling?«
»Weil er ein guter Mann ist. Er ist –«
»Gut und geduldig und aufmerksam. Erinnert dich das nicht an jemanden?«
»Nicht an dich.«
Clay rutschte von der Sofalehne und lachte. »Ganz sicher nicht an mich.« Er legte meine Mappe auf dem Tisch ab und studierte mein Gesicht. »Du kapierst's einfach nicht, stimmt's? Na, wenn du es irgendwann doch verstehst, wirst du auch wissen, warum es nichts werden kann. Dir kann an diesem Typ liegen, aber es wird nie das Gleiche sein wie das, was wir haben. Es kann einfach nicht. So nett er ist, du hast ihn dir aus lauter falschen Gründen ausgesucht.«
»Du irrst dich.«
Er zuckte die Achseln. »Muss auch mal vorkommen. Was ist mit diesen Steaks? Der Grill müsste jetzt heiß sein. Gib mir das Fleisch rüber, und du kannst inzwischen das Gemüse machen.«
Nach dem Essen machten wir einen langen Spaziergang. Als wir in die Wohnung zurückkamen, war Philip dort gewesen und hatte mir einen Zettel auf dem Tisch hinterlassen. Er schrieb, dass seine Partner ihn zu einem Treffen am nächsten Morgen in Montreal beordert hatten. Er war nur vorbeigekommen, um eine Tasche zu packen; inzwischen musste er schon im Zug nach Quebec sitzen. »Dann bleibt er also die ganze Nacht fort?«, fragte Clay, während er den Zettel über meine Schulter hinweg mitlas.
»Sieht ganz so aus.«
»So ein Jammer. Da müssen wir wohl irgendwas anderes zu tun finden.« Er ging zum Kalender hinüber. »Mal sehen. Sechs Tage seit deiner letzten Wandlung. Acht Tage bei mir. Du weißt ja, was das bedeutet.«
Es wurde Zeit zu rennen.
Wir zankten eine Weile über die Frage, ob wir zur Schlucht laufen oder fahren sollten. Es war ein langer Weg, aber keinem von uns machte es etwas aus, dorthin zu laufen – es war die Vorstellung, auf dem Rückweg völlig erschöpft ebenfalls laufen zu müssen, die mir weniger reizvoll vorkam. Wir hatten uns schon fast darauf geeinigt, das Auto zu nehmen, als ich den Fehler machte zu erwähnen, dass es Philips Auto war. Daraufhin stellte Clay fest, dass die Nacht wunderschön war und dass es ein Verbrechen gewesen wäre, nicht zu laufen. Ich widersprach ihm nicht. Philips Auto zu nehmen brachte oft mehr Schwierigkeiten mit sich, als es löste. Einen Nachtparkplatz in der Nähe der Schlucht zu finden war nicht einfach, und ich machte mir jedes Mal Sorgen, ich könnte einen Strafzettel bekommen oder abgeschleppt werden und würde Philip dann erklären müssen, was ich mitten in der Nacht in diesem Teil der Stadt verloren hatte.
Es war Mitternacht, als wir die Schlucht erreichten. Wir trennten uns. Ich suchte mir ein Dickicht und zog mich aus. Als ich mich auf den Boden kauerte, um mit der Wandlung zu beginnen, fiel mir plötzlich etwas auf. Ich bereitete mich auf die Wandlung mit etwa so viel seelischem Einsatz vor, als sei ich im Begriff, mir die Zähne zu putzen. Mein Hirn war mit anderen Dingen beschäftigt, während mein Körper sich in Position brachte, als sei es das Natürlichste auf der Welt. Nun hätte das Ganze nach zehn Jahren automatisch vor sich gehen sollen, und das tat es auch … wenn ich in Stonehaven oder mit dem Rudel zusammen war. In einer Minute war ich ein Mensch, in der nächsten ein Wolf. Ja
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