Die Nacht des einsamen Träumers.
der Schlussfolgerung. Dann fiel ihm noch ein Beispiel ein, welches das erste bestätigte. Pessoa erklärt, wieder durch Quaresma, dass ein Mann, der, während es draußen regnet, im Wohnzimmer sitzt und zu dem ein durchnässter Besucher ins Zimmer kommt, unvermeidlich denken muss, der Besucher habe einen nassen Anzug, weil er im Regen war. Doch dieser Gedanke kann nicht als Tatsache gelten, denn der Mann hat den Besucher nicht mit eigenen Augen im Regen auf der Straße gesehen. Ebenso gut kann jemand im Haus eine Schüssel Wasser über ihm ausgegossen haben. Wie sollte er also Fazio und Gallo klar machen, dass ein mit einem gezielten Genickschuss »hingerichteter« Mafioso nicht unbedingt ein Opfer der Mafia sein muss, weil er sich nicht an eine Vereinbarung gehalten hatte oder reden wollte?
Pessoa erklärt auch, dass...
Er hat nie erfahren, was Pessoa in diesem Augenblick noch erklärte. Die Müdigkeit dieses Tages sank plötzlich auf ihn herab wie eine Kapuze, die die Dunkelheit, die bereits im Zimmer herrschte, noch dunkler machte. Er ließ den Kopf auf die Brust sinken und nickte ein. Bevor er ganz einschlief, konnte er sich gerade noch einen Befehl erteilen: Schlaf wie eine Katze. Mit dem leichten Schlaf der Katzen, die tief zu schlafen scheinen, doch beim geringsten Anlass aufspringen und ihre Verteidigungshaltung einnehmen. Er wusste nicht, wie lange er, unterstützt von der beständigen Geräuschkulisse des Regens, geschlafen hatte. Plötzlich weckte ihn, genau wie eine Katze, ein leises Geräusch an der Haustür. Das konnte irgendein Tier sein. Dann hörte er, wie der Schlüssel im Schloss umgedreht wurde und vorsichtig die Tür aufging. Er saß stocksteif auf seinem Stuhl. Die Tür wurde geschlossen. Er hatte weder gesehen, wie sie aufgegangen, noch wie sie wieder zugegangen war, nichts hatte sich an der Mauer tiefer Dunkelheit außerhalb wie innerhalb des Hauses verändert. Der Mann war hereingekommen, aber er blieb zu nah an der Tür stehen, reglos; auch der Commissario wagte nicht, sich zu bewegen, er fürchtete, sogar sein Atem könnte ihn verraten. Warum trat der Mann nicht näher? Vielleicht witterte er die fremde Gegenwart in seinem Haus, wie ein Tier, das in die Höhle zurückkehrt. Dann tat der Mann endlich zwei Schritte zum Tisch hin und blieb wieder stehen. Der Commissario war beruhigt, jetzt hätte er, falls das erforderlich sein sollte, mit einem Satz vom Stuhl aufspringen und ihn packen können. Aber das war nicht nötig. »Cu si?«, fragte die Stimme eines alten Mannes leise, ohne Furcht.
Chi sei, wer bist du. Er hatte ihn wirklich gewittert, einen fremden Schatten in dem Schattenhaufen, der das Zimmer war, in dem der Mann aus alter Gewohnheit längst unterscheiden konnte, was an seinem Platz war und was nicht. Montalbano war im Nachteil: So gut er sich die Anordnung jedes einzelnen Gegenstandes auch eingeprägt hatte, begriff er doch, dass der andere sich auch mit geschlossenen Augen leicht hätte zurechtfinden können, während er, auch wenn es absurd war, ausgerechnet in dieser tiefen Dunkelheit das Bedürfnis hatte, die Augen weit aufzureißen.
Er begriff auch, dass es ein nicht wieder gutzumachender Fehler gewesen wäre, in diesem Augenblick ein falsches Wort zu sagen.
»Ich bin Kriminalkommissar. Ich heiße Montalbano.« Der Mann rührte sich nicht, sprach nicht. »Seid Ihr Antonio Firetto?«
Das »Ihr« war ihm spontan und in jenem besonderen Ton über die Lippen gekommen, der von Achtung, wenn nicht von Respekt zeugte.
»Ja.«
»Seit wann hattet Ihr Giacomo nicht mehr gesehen?«
»Seit fünf Jahren. Glaubt Ihr mir?«
»Ich glaube Euch.« Also hatte sich sein Sohn während der gesamten Zeit, in der er untergetaucht war, nicht blicken lassen. Vielleicht hatte er es nicht gewagt. »Und warum ist er gestern aufgetaucht?«
» Non lo saccio u pirchi, ich weiß nicht, warum. Er war müde, so müde. Er ist nicht mit dem Auto gekommen, er ist zu Fuß gekommen. Er ist reingekommen, hat mich umarmt und ist mitsamt den Schuhen aufs Bett gefallen. Später ist er aufgewacht und hat gesagt, dass er Hunger hat. Da hab ich gesehen, dass er bewaffnet war, er hatte einen Revolver auf dem Nachttisch. Ich hab ihn gefragt, warum er bewaffnet rumläuft, und da hat er gesagt, dass man immer üble Begegnungen haben kann. Und er hat angefangen zu lachen. Da ist mir das Blut in den Adern gefroren.«
»Warum ist Euch das Blut gefroren?«
»Weil er so gelacht hat,
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