Die Nacht des einsamen Träumers.
gehabt. Das Haus, in dem man den Toten gefunden hatte, lag abgeschieden. Es war trocken gemauert und bestand aus drei nebeneinander liegenden ebenerdigen Zimmern. Neben der Haustür befand sich eine Öffnung: Sie führte in den Stall, in dem ein einsamer trauriger Esel wohnte. Als Montalbano ankam, stand nur ein Auto, das von Gallo, auf dem Vorplatz: Der Rummel, den Ärzte, Sanitäter, Spurensicherung, Staatsanwalt und Gefolge veranstaltet hatten, war sichtlich vorbei. Besser so. Er stieg aus dem Auto und stand einen halben Meter tief im Schlamm. Der assuppaviddranu, der Nieselregen, fiel nicht mehr, aber seine Auswirkungen dauerten fort. Die Türschwelle war in der Tat unter drei Finger tiefem Schlamm begraben, und Schlamm war überall in dem Zimmer, das er betrat. Fazio und Gallo standen vor dem offenen Feuerherd und tranken ein Glas Wein. Es gab auch einen Backofen, der mit einem halbkreisförmig zugeschnittenen Stück Blech verschlossen war. Den Toten hatte man weggebracht. Auf dem Tisch in der Mitte des Zimmers stand ein Teller mit den Resten von ein paar gekochten Kartoffeln, die das Blut, das in den Teller geflossen und auf die Tischplatte übergelaufen war, in Rote Beete verwandelt hatte.
Auf dem Tisch, auf dem kein Tischtuch lag, waren auch ein ganzer Laib tumazzo, ein halbes Brot und ein halb volles Glas Rotwein. Die Flasche stand nicht da, aus der bedienten sich Fazio und Gallo gerade. Auf dem Boden, neben dem Stuhl mit geflochtenem Sitz, lag eine Gabel. Fazio war Montalbanos Blick gefolgt.
»Es ist passiert, während er aß. Sie haben ihn mit einem
einzigen Schuss ins Genick hingerichtet.« Montalbano wurde immer wütend, wenn man im Fernsehen von »hinrichten« statt von »ermorden« sprach. Auch bei seinen Leuten ärgerte er sich darüber. Aber diesmal ließ er es gut sein, wenn es Fazio entschlüpft war, bedeutete das, dass ihn dieser einzige, kaltblütig abgefeuerte Schuss ins Genick erschütterte.
»Was ist da drüben?«, fragte der Commissario und wies mit dem Kopf auf das andere Zimmer. »Nichts. Ein Doppelbett ohne Leintücher, nur mit Matratzen, zwei Nachtkästchen, ein Schrank, zwei solche Stühle wie die hier.«
»Ich kannte ihn«, sagte Gallo und wischte sich mit der Hand über den Mund.
»Den Toten?«
» Nonsi . Seinen Vater. Er hieß Antonio Firetto. Der Sohn hieß Giacomo, aber den habe ich nie kennen gelernt.«
»Wo steckt der Vater?«
»Das ist das Problem«, sagte Fazio. »Er ist nirgends zu finden. Wir haben ihn rings ums Haus und in der näheren Umgebung gesucht, aber nicht gefunden. Meiner Meinung nach haben ihn die Mörder des Sohnes mitgenommen.«
»Was wisst ihr über den Toten?«
»Dottore, der Tote ist Giacomo Firetto!«
»Ja und?«
»Dottore, er ist vor fünf Jahren untergetaucht. Er arbeitete für die Mafia, er erledigte blutige Handlangerdienste, zumindest sagte man das. Nur Sie haben nie von ihm gehört.«
»War er von den Cuffaros oder den Sinagras?« Die Cuffaros und die Sinagras waren die beiden Familien, die seit Jahren einen Krieg um die Kontrolle der Provinz Montelusa führten.
»Dottore, Giacomo Firetto war fünfundvierzig Jahre alt. Als er noch hier war, gehörte er zu den Sinagras. Damals war er jung, aber viel versprechend. So viel versprechend, dass ihn sich die Riolos aus Palermo ausliehen. Die Leihgabe war so lange gültig, bis er umgebracht wurde.«
»Und wenn er hier in die Gegend kam, hat sein Vater ihm Gastfreundschaft gewährt.« Fazio und Gallo wechselten einen raschen Blick. »Commissario, der Vater war ein feiner Mensch«, sagte Gallo entschieden.
»Wieso sagst du ›war‹?«
»Weil sie ihn unserer Meinung nach inzwischen schon getötet haben.«
»Erklärt mir das: Was ist eurer Meinung nach passiert?«
»Wenn Sie erlauben«, sagte Gallo, »möchte ich noch etwas hinzufügen. Antonio Firetto war fast siebzig, aber er hatte die Seele eines Kindes. Er machte Gedichte.«
»Wie bitte?«
»Sissignore, Gedichte. Er konnte weder lesen noch schreiben, aber er machte Gedichte. Schöne Gedichte, ich hab ihn welche aufsagen hören.«
»Worum ging es denn in den Gedichten?«
»Was weiß ich, um die Madonna, den Mond, das Gras. All so was. Und er wollte nie glauben, was man über seinen Sohn redete. Er behauptete, Giacomo wäre zu so was nicht fähig, er hätte ein gutes Herz. Nie wollte er es glauben. In der Stadt hat er sich mal bis aufs Blut mit einem geprügelt, der zu ihm gesagt
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