Die Nacht des einsamen Träumers.
Commissariu. Wir haben dann nicht mehr geredet, er ist liegen geblieben, ich hab ihm hier was zu essen gemacht. Nur für ihn, ich konnte nichts essen, ich hab mich gefühlt, wie wenn mir eine eiserne Hand den Magen zudrückt.«
Er unterbrach sich und seufzte. Montalbano respektierte das Schweigen.
»Ich hab immer dieses Gelächter im Kopf gehört«, fing der alte Mann wieder an. »Es war ein viel sagendes Gelächter, es hat die ganze Wahrheit über meinen Sohn gesagt, die Wahrheit, die ich nie glauben wollte. Als die Kartoffeln fertig waren, hab ich ihn gerufen. Er ist aufgestanden, hier reingekommen, hat den Revolver auf den Tisch gelegt und hat angefangen zu essen. Und da hab ich ihn gefragt: ›Wie viele Christenmenschen hast du getötet?‹ Und er, eiskalt, als wenn wir über Ameisen geredet hätten: ›Acht.‹ Und dann hat er was gesagt, was er besser nicht gesagt hätte. Er hat gesagt: ›Und auch ein neunjähriges Kind.‹ Und hat weitergegessen. Madunnuzza santa, er hat weitergegessen! Da hab ich den Revolver genommen und hab ihm ins Genick geschossen. Ein einziger Schuss, wie man es bei denen macht, die zum Tod verurteilt sind.«
»Hingerichtet«, hatte Fazio gesagt. Er hatte Recht gehabt. Die Pause war diesmal sehr lang. Dann sagte der Commissario.
»Warum seid Ihr zurückgekommen?«
»Weil ich mich umbringen will.«
»Mit dem Revolver, den Ihr im Backofen versteckt habt?«
» Sissi . Das war der von meinem Sohn. Ein Schuss fehlt.«
»Ihr hattet alle Zeit der Welt, Euch umzubringen. Warum habt Ihr es nicht gleich getan?«
»Meine Hand hat so gezittert.«
»Ihr hättet Euch an einem Baum aufhängen können.«
»Ich bin nicht Judas, Signor Commissario.« Stimmt, er war nicht Judas. Und er konnte sich nicht wie ein Verzweifelter in einen Brunnen stürzen. Er war ein Poet, der die Wahrheit bis zuletzt nicht hatte sehen wollen.
»Und was machen Sie jetzt, nehmen Sie mich fest?« Wieder diese leise, feste Stimme ohne Furcht.
»Das müsste ich.«
Der Alte bewegte sich schnell, damit hatte der Commissario nicht gerechnet. In der Dunkelheit hörte Montalbano, wie das Blech, mit dem der Backofen verschlossen war, auf den Boden fiel. Jetzt hatte der alte Mann bestimmt den Revolver in der Hand und zielte auf ihn. Aber der Commissario hatte keine Angst, er wusste, dass es nur eine Rolle zu spielen gab. Er erhob sich langsam, aber sobald er stand, wurde ihm schwindlig, eine Müdigkeit aus Betonplatten begrub ihn unter sich.
»Ich habe Euch im Visier«, sagte der alte Mann. »Und ich befehle Euch, sofort dieses Haus zu verlassen. Vogliu muriri ccà, ich will hier sterben, erschossen vom Revolver meines Sohnes. Und dabei auf demselben Platz sitzen, auf dem ich ihn erschossen habe. Wenn Ihr ein Mann seid, dann versteht Ihr das.«
Müde ging Montalbano zur Tür, öffnete sie und ging hinaus. Es hatte aufgehört zu regnen. Und er war sicher, dass er niemanden finden würde, der ihn nach Vigàta mitnahm.
Namensvettern
»Erklärst du mir vielleicht, was das soll?«, fragte Montalbano wütend.
Am anderen Ende der Leitung in Boccadasse-Genua wurde Livias Stimme auf einmal eisig.
»Schrei mich nicht so an. Da gibt es nichts zu erklären. Eine gute Freundin, die ich von klein auf kenne, hat mich eingeladen, die Weihnachtsferien mit ihr zu verbringen, das ist alles.«
»Toll! In New York!«
»Na und? Wir werden Weihnachten in New York bei ihrem Bruder verbringen, der dort lebt.«
»Du könntest doch mit mir zusammen sein! Ich komme rauf, oder du kommst runter.«
»Ach, Salvo, da kann ich ja nur lachen! Wie lange sind wir nun schon zusammen? Ein paar Jährchen, stimmt's? Wie viele Heiligabende haben wir unter einem Dach gefeiert?«
»Na ja, genau weiß ich das jetzt nicht mehr.«
»Ich frische dein Gedächtnis auf: einen einzigen.«
»Das war nicht meine Schuld.«
»Meine auch nicht. Hör zu, Salvo, ich habe eine Idee: Komm doch nach!«
»Wohin?«
»Wie, wohin! Nach New York.«
»Ich? Nach New York? Da bringen mich keine zehn Pferde hin.«
»Dann hör zu. Ich begleite meine Freundin, komme am Siebenundzwanzigsten zurück nach Boccadasse und fliege am nächsten Tag zu dir nach Vigàta. In Ordnung?«
»Weihnachten ist eine Sache, Silvester eine andere.«
»Weißt du was, Salvo? Mir reicht's. Meine Telefonnummer in New York habe ich dir schon gegeben: Wenn du mit mir reden willst, ruf mich an.«
»Ich hab kein Geld zum
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