Die Nacht des einsamen Träumers.
sie alle Jubeljahre mal ein Theaterstück zeigen, ist es zum Heulen.« Jetzt war das Thema Theater erschöpft, und Montalbano musste unbedingt die Frage stellen, derentwegen er diese Wohnung betreten hatte.
»Gestern Nacht«, sagte er lächelnd, »war ich hier.«
»Wo, hier?«
»Auf Ihrem Treppenabsatz. Signor Bracceri hatte mich in einer Angelegenheit angerufen, die sich dann als bedeutungslos erwies. Sie hatten vergessen, Ihre Tür zu schließen, und ich habe mir erlaubt, sie zuzumachen.«
»Ach, Sie waren das.«
»Ja, und ich möchte mich entschuldigen, wenn ich vielleicht zu laut war. Doch da war etwas, was meine Neugier geweckt hat. An Ihre Tür war, ich glaube mit einem Reißnagel, ein Blatt Papier geheftet, auf dem ›Generalprobe‹ stand.«
Er lächelte und gab sich zerstreut. »Was haben Sie denn Schönes geprobt?« Die beiden wurden plötzlich ernst und rückten noch näher aneinander; mit einer selbstverständlichen, tausendmal wiederholten Geste fassten sie sich an den Händen und sahen sich an. Dann sagte Andrea Di Giovanni: »Unseren Tod haben wir geprobt.«
Und während Montalbano wie versteinert dasaß, fügte er hinzu: »Aber das ist kein Theaterstück, leider.«
Und dann sprach sie. »Als wir heirateten, war ich neunzehn und er zweiundzwanzig Jahre alt. Wir waren immer zusammen, wir haben nie Engagements in zwei verschiedenen Theatertruppen angenommen und deshalb manchmal Hunger gelitten. Als wir dann zu alt zum Arbeiten waren, haben wir uns hierher zurückgezogen.« Er fuhr fort.
»Seit einiger Zeit haben wir Beschwerden. Das ist das Alter, sagten wir uns. Dann haben wir uns untersuchen lassen. Unsere Herzen sind kaputt. Die Trennung wird plötzlich und unvermeidbar sein. So fingen wir an zu proben. Wer zuerst stirbt, wird im Jenseits nicht allein bleiben.«
»Eine Gnade wäre es, gemeinsam zu sterben, im selben Augenblick«, sagte sie. »Doch das wird uns wohl kaum vergönnt sein.«
Sie irrte. Acht Monate später las Montalbano eine Zeitungsnotiz. Sie war friedlich im Schlaf gestorben, und er wollte, als er es beim Aufwachen merkte, ans Telefon stürzen, um Hilfe zu holen. Doch auf halbem Weg zwischen Bett und Telefon hatte sein Herz versagt.
Die arme Maria Castellino
»Spreche ich mit Bonchidassa? Hä? Ist da Bonchidassa? Sind Sie das ganz persönlich selber, Dottore?«
»Ja, Catarè, ich bin's persönlich.«
Catarellas Stimme klang sehr fern, es war kaum zu verstehen, was er sagte. »Von wo rufst du an?«
»Ist doch klar, von wo ich anrufe, Dottore. Von Vigàta ruf ich an.«
»Ja, aber warum redest du so?«
»Ich hab mir ein Taschentuch in den Mund gesteckt, Dottore.«
»Wozu denn?«
»Damit die anderen mich nicht hören. Fazio hat mir befohlen, dass ich nur mit Ihnen allein telefonieren darf.«
»Also gut, was gibt's denn?«
»Da hat einer eine Hure umgebracht.«
»Habt ihr ihn festgenommen?«
»Wen?«
»Den, der die Hure umgebracht hat.«
»No-n-si, Dottore, wir wissen ja nicht, wer es war. Ich hab gesagt, dass es einer war, weil die Hure erwürgt worden ist, es war also einer. Logisch, oder?«
»Einverstanden. Was will Fazio denn von mir?«
»Fazio sagt, dass der Dottore Augello das mit dem Mord nicht kapiert. Und es kann sein, dass die carrabbinera vor uns da sind. Er sagt, dass Sie schnell nach Vigàta kommen sollen. Fazio hat sogar was gesagt, was ich Ihnen nicht sagen kann.«
»Sag's trotzdem.«
»Er hat gesagt, dass wir hier in der Scheiße stecken und Sie sich in Bonchidassa, mit Verlaub, Dottore, derweil einen runterholen.«
»Schon gut, Catarè, richte Fazio aus, dass ich so schnell wie möglich komme.«
Er leistete Fazios Aufforderung eine knappe Stunde lang Widerstand. Dann zog er sich an und verließ das Haus. Als er zurückkam, hatte er das Flugticket für den folgenden Tag in der Tasche, Abflug zwölf Uhr mittags. Livias gefürchtete Rückkehr erfolgte pünktlich um achtzehn Uhr. Als sie ihn sah, schlang sie die Arme um seinen Hals. »Ach, Salvo, du weißt gar nicht, wie schön es ist, nach Hause zu kommen und dich hier zu haben!« Wann sollte er ihr sagen, dass er beschlossen hatte, das Ende seiner Ferien in Boccadasse-Genua um zwei Tage vorzuverlegen? Vor oder nach dem Abendessen? Er entschied sich für danach, auch weil sie beschlossen hatten, in einem Restaurant zu essen, wo man den Fisch so zubereitete, wie der Fisch selbst zubereitet zu werden wünschte.
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