Die Nacht des einsamen Träumers.
können.
Die Tür schlug heftig gegen die Wand, der Commissario sprang auf und bezwang seine überwältigende Mordlust nur mühsam. »Catarè, ich hab dir tausendmal gesagt...«
»Ich bitte um Verzeihung, Dottore, aber die Hand ist mir ausgerutscht.«
»Was ist denn?«
»Dottore, Genco Orazio ist da, der Einbrecher, der sagt, dass er ganz persönlich mit Ihnen selber reden will. Vielleicht will er ja was gestehen.«
»Gestehen, Catarè. Lass ihn rein.«
»Wissen Sie, dass ich heute Nacht nicht geschlafen hab?«, sagte Orazio Genco, als er eintrat.
»Ich auch nicht, wenn es darum geht. Was willst du?«
»Commissa, vor einer halben Stunde hab ich Kaffee getrunken mit einem Freund, den die Arma festgenommen hat und der drei Jahre gesessen hat. Er hat gesagt: ›Ohne Beweise haben sie mich eingelocht! Senza prove, ohne Beweise!‹ Und bei dem Wort prove ist mir eingefallen, was auf dem Zettel stand, der bei dem alten Ehepaar an der Tür hing. Jetzt weiß ich's wieder ganz genau, da stand: › Prova generale, Generalprobe‹. Deshalb hab ich gedacht, er wär ein General.«
Der Commissario dankte Orazio Genco, der wieder ging. Nach einer Weile erschien Fazio. »Dottore, Sie wollten mich heute Morgen sprechen?«
»Ja. Du warst mit Mimi wegen diesem Mord unterwegs. Ich möchte nur eines wissen: Warum habt ihr euch nicht dazu herabgelassen, weder du noch Dottor Augello, mich zu informieren, dass es einen Toten gegeben hat?«
»Dottore, was sagen Sie da? Wissen Sie, wie oft wir bei Ihnen in Marinella angerufen haben? Aber Sie haben nie abgenommen. Hatten Sie vielleicht das Telefon ausgesteckt?«
Nein, er hatte das Telefon nicht ausgesteckt. Er war außer Haus gewesen, um für einen Einbrecher Schmiere zu stehen. »Erzähl mir von diesem Mord, Fazio.«
Das Mordopfer beschäftigte ihn bis fünf Uhr nachmittags. Dann fiel ihm plötzlich die Geschichte mit den Di Giovannis wieder ein. Und machte ihm Sorgen. Sie hatten an die Tür geschrieben, dass sie eine Generalprobe abhielten. Und das bedeutete, dass am nächsten Tag die Theatervorstellung stattfand. Was war für die Di Giovannis die Theatervorstellung? Vielleicht die Ausführung dessen, was sie in der Nacht zuvor geprobt hatten, nämlich ein echter Tod und ein echter Selbstmord? Beunruhigt griff er nach dem Telefonbuch. »Pronto, ist das bei Di Giovanni? Ich bin Commissario Montalbano.«
»Ja, ich bin Andrea Di Giovanni, worum geht es?«
»Ich würde gern mit Ihnen sprechen.«
»Was sind Sie denn für ein Kommissar?«
»Kriminalkommissar.«
»Ah. Und was will die Polizei von mir?«
»Gar nichts Besonderes. Es handelt sich um ein ganz persönliches Interesse.«
»Woran denn?« Da hatte er eine Idee.
»Ich habe ganz zufällig erfahren, dass Sie beide Schauspieler waren.«
»Das stimmt.«
»Nun, ich liebe das Theater und das Kino. Ich wüsste gern...«
»Dann seien Sie mir willkommen, Commissario. In dieser Stadt gibt es keinen Menschen, keinen einzigen, der etwas vom Theater versteht.«
»Ich bin spätestens in einer Stunde bei Ihnen, geht das?«
»Wann immer Sie wollen.«
Sie sah aus wie ein nacktes Vögelchen, das aus dem Nest geplumpst ist, er wie ein halb blinder Bernhardiner, dem die Haare ausgefallen sind. Die Wohnung war blitzblank und tipptopp aufgeräumt. Sie boten ihm einen kleinen Sessel an, sie selbst setzten sich ganz nah nebeneinander auf das Sofa, wie sie sonst vor dem Fernseher saßen, der gegenüberstand. Montalbano sah sich sehr interessiert eines der hundert Fotos an, die die Wände bedeckten, und sagte: »Ist das nicht Ruggero Ruggeri in Pirandellos Das Vergnügen, anständig zu sein ?« Und das löste eine Lawine von Namen und Titeln aus: Sem Benelli und Das Mahl der Spötter, wieder Pirandello und Sechs Personen suchen einen Autor, Ugo Betti und Korruption im Justizpalast, und dazwischen Ruggeri, Ricci, Maltagliati, Cervi, Melnati, Viarisio, Besozzi... Sie redeten eine gute Stunde lang auf ihn ein, Montalbano war am Ende ganz benommen, die beiden alten Schauspieler blühten auf und waren glückselig. Dann kam eine Pause, und der Commissario nahm gern ein Glas von dem Whisky an, den Signor Di Giovanni zur Feier des Tages anscheinend rasch gekauft hatte. Als sie das Gespräch wieder aufnahmen, ging es ums Kino, von dem die beiden alten Leute nicht viel hielten. Und noch weniger vom Fernsehen: »Sie wissen doch, Commissario, was da für Sendungen kommen. Schlager und Shows. Wenn
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