Die Nacht des Satyrs
gegangen und hatte die Vorhänge geschlossen, weil sie nicht wissen wollte, wann der Mond hoch am Himmel stünde. Nicht nachdem Raine ihr hinreichend deutlich gemacht hatte, dass er weder heute Nacht noch in einer der künftigen Vollmondnächte zu ihr käme. Ja, er hatte es geschworen!
Jeden Monat, wenn der Mond rund und hell aufging, würden Raines silberne Augen vor Lust glänzen und sein Satyr-Blut ihn zu dem geweihten Kreis treiben. Dort würde er diese Anderweltfrauen heraufbeschwören: die Nebelnymphen. Ihr Anblick und ihr Geruch würden sein Glied anschwellen lassen. Er würde mit seinen großen Händen über ihre glatte Haut streichen, ihre Hüften umfassen, in sie eindringen und seinen Samen in sie ergießen.
Was für ein grausamer Verrat! Und wie furchtbar er schmerzte!
Sollte sie ihn heiraten, wäre Jordan verdammt, jede Vollmondnacht bis ans Ende ihrer Tage einsam in ihrem Bett zu verbringen.
Aber heute Nacht, obwohl sie mit niemandem schlief, war sie nicht allein. Ein Traumliebhaber kam zu ihr. Er nahm die Gestalt, den Duft und den Klang des einen Mannes an, den sie wirklich liebte. Seine Worte schlichen sich in ihren Geist und bannten ihn, hielten Jordan stärker gefangen, als Fesseln es könnten.
Er lockte sie, umwarb sie mit falschen, honigsüßen Worten, die sie anzogen wie der Nektar den Kolibri.
Komm zu mir! Ich warte auf dich, hier in der Klamm.
Fiebrig warf sie ihren Kopf auf dem Kissen hin und her, zerwühlte ihr Haar. »Nein, du verschmähst mich heute Nacht, hast mir befohlen, dir fernzubleiben.«
Ich irrte mich. Vergib mir! Komm heute Nacht zu mir, und ich will dich gebührend ehren, dir Kinder schenken!
»Kinder.« Sie wiederholte das Wort seufzend, während ein winziger Hoffnungsschimmer sich in ihrem Herzen regte.
Wie eine der Untoten erhob Jordan sich.
»Raine?«, hauchte sie. »Wo bist du?« Die Frage entfuhr ihr gegen ihren Willen, und sie schmeckte fremd auf ihrer Zunge. Die unbekannte Sprache sprudelte leicht aus ihr hervor, und doch wusste sie nicht, sie jemals gesprochen, geschweige denn gelernt zu haben.
Ich bin bei dir, ganz nahe, und führe dich. Komm zu mir!
In schläfriger Trance stieg sie aus dem Bett und die Treppen hinunter. Die massive Eingangstür des Castellos öffnete sich lautlos und ließ die Nacht in Raines Heim. Eine leichte Brise wehte ihr das Nachthemd an den Leib, so dass sich ihre Brüste, ihre schmalen Schenkel und ihr kurzer steifer Phallus zwischen ihnen durch den Stoff abzeichneten.
Die Tür hinter ihr blieb weit offen, als sie in den vorderen Hof hinaustrat. Jordan fühlte den kalten Stein unter ihren bloßen Füßen und vernahm das gedämpfte Plätschern des Brunnens. Unter Bacchus’ laszivem Blick wanderte sie seitlich um das Haus herum zu dem friedlichen hinteren Garten. Dort schien alle Natur gleichsam eingelullt von der Magie, die in der Luft lag.
Der Mond war noch nicht aufgegangen, die Nacht eine schwarze Leere. Aber Jordan fand ihren Weg mühelos, angezogen von einer Kraft, die sich dem menschlichen Verstand versperrte. Einer Kraft, von der Jordan wusste, dass sie sie niemals begreifen konnte, und die entschlossen war, sie auf immer in eine andere Welt zu locken.
Ihr Nachthemd war dünn, und dennoch empfand sie den kühlen Wind nicht, der ihr rabenschwarzes Haar flattern machte. Sie bemerkte nicht, dass er der erste Vorbote des kommenden Winters war. Der süße Traubenduft wurde stärker, je weiter Jordan über den sorgsam gemähten Rasen schritt. Tautropfen auf dem Gras benetzten ihre Füße und ihre Knöchel.
Etwas zog sie zu dem dichtesten Teil des Waldes. Sie ging an Eichen, Holunder und Weißdorn vorbei, deren Stämme von Efeu umrankt waren, dann durch Farne und schließlich über einen Bach.
Die samtige Stimme in ihrem Traum wurde dringlicher.
Komm! Ich warte auf dich, brauche dich. Ich begehre dich mit all meinem Sein und meiner ganzen Seele.
»Ich komme, Raine. Ich komme! Wo bist du?«
Hier entlang, meine Liebste! Hier entlang!
Ihre Schritte wurden schneller, trugen sie tiefer in den Wald.
In der Nähe vernahm sie andere, die ebenfalls zur Klamm gekommen waren. Zwei Männer und eine Frau. Ihre Körper waren stark, wunderschön und nackt im blauschwarzen Zwielicht.
Sie standen zusammen unter einer großen Statue – der imposantesten von allen, die den Kreis um die abgelegene Lichtung schlossen. Über ihnen thronte Bacchus auf einem Podest, einen Traubenkranz im Haar und einen Kelch in der ausgestreckten Hand,
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