Die Nacht des Satyrs
Wirkungen der Witterung oder die wuchernde Vegetation.
Einen Arm hatte er angewinkelt unter dem von zerzaustem Haar umkränzten Haupt, und sein Kinn war verwegen gereckt. Sein Lächeln wirkte durch und durch lüstern, wohingegen seine Lider halb geschlossen waren, als wäre er im Halbschlaf.
Warum war Jordan hergekommen? Könnte sie …
gerufen
worden sein?
Phantasos herrschte über die Dinge, die uns in Träumen begegnen, und Phobetor konnte Tiergestalt annehmen. Aber in der Welt der Träume verfügte Morpheus über die größte Macht, denn er vermochte jede lebende Kreatur zu verkörpern.
Raine lief los. Selbst in dunkelster Nacht bewegte er sich sicher. Inzwischen trennten ihn nur noch fünfzig Meter von Jordan.
Sie flüsterte vor sich hin. Zwar hörte er, dass sie seinen Namen sagte, aber die anderen Worte verstand er zunächst nicht. Dann begriff er, dass sie die Anderweltsprache benutzte, die sie gar nicht kannte. Ihm wurde eiskalt. Jemand legte ihr die Worte in den Mund.
Inzwischen war er auf dreißig Meter an sie herangekommen. Ausgerechnet diesen Moment suchte der Mond sich aus, um unvermittelt sein rundes Gesicht zu zeigen.
Das Licht fällte Raine wie eine riesige Eiche, so dass er auf seine Knie sank. Ein zweites Glied spross ihm aus dem Becken. Er packte das neue Anhängsel, rappelte sich mühsam auf und hinkte unter größten Schmerzen weiter. Doch er schaffte nur wenige Schritte, ehe er stolperte und fiel.
In wenigen Minuten wäre die Verwandlung abgeschlossen, dann ebbte der Schmerz ab. Nur konnte Jordan bis dahin auf immer für ihn verloren sein.
Verzaubert von dem Bann ihres Traumes, stand Jordan inmitten der Mohnblumen, die ihr bis zu den Knien reichten, und starrte auf die große Statue vor ihr.
Hier war alles vom kühlen Schirm der Koniferen gedämpft, und der umliegende Wald war unnatürlich still geworden.
Trotzdem wurde sie von Hunderten unwirklicher durchsichtiger Wesen beobachtet, die sich ebenso wenig regten wie die Bäume. Manchen von ihnen wuchsen sogar Zweige anstelle von Haaren auf dem Kopf, andere hatten fellbedeckte Schenkel und Hufe, und wieder andere besaßen wunderhübsche weiße Flügel, die von ihren Schultern bis zum Boden hinunterreichten. Eine merkwürdige Spannung umgab sie, einem gigantischen klebrigen Spinnennetz gleich. Sie alle warteten darauf, dass Jordan irgendetwas tat.
Auf dem Podest über ihr sah sie nicht Morpheus und seine Brüder. Für Jordan waren es Raine und seine Brüder.
»Raine?«, flüsterte sie. Augen, die nicht Raines waren, und ein Lächeln, das nicht seines war, schienen sie näher zu locken.
Endlich bist du zu mir gekommen! Meine Brüder und ich haben hart gearbeitet, um dich herzubringen.
»Warum liegt ihr hier? Wo ist Jane? Ich verstehe das nicht.«
Bald wirst du alles begreifen. Komm näher, mein Liebling, und lass uns dich ansehen!
Ein Labyrinth von Weinranken, so dick wie Jordans Arme, ragte seitlich an dem Podest auf. Ohne hinzusehen, einzig geleitet von der seltsamen Kraft, die sie nicht verstand, fand sie auf einer der Ranken Halt mit ihrem Fuß, ergriff eine andere mit ihrer Hand und kletterte hinauf, immer weiter nach oben.
Bald befand sie sich oben auf dem Podest, wo sie inmitten der hingestreckten Männer stand. In ihren Augen waren es nicht Phobetor, Morpheus und Phantasos, sondern Nick lag zu ihrer Linken, Raine neben ihr und Lyon hinter ihm zu ihrer Rechten.
Als sie Nick und Lyon ansah, runzelte sie unweigerlich die Stirn. Etwas stimmte nicht an der Art, wie die beiden sie anstarrten. Aber sie konnte nicht sagen, was an ihrer Anwesenheit sie störte. Alles war so neblig und weit weg.
Berühre mich, damit ich dich berühren kann, Jordan, mein Liebling! Lass mich deine Hände spüren!
Sie lächelte Raine an, erfreut ob seiner sanften Worte, und legte beide Hände an seine Wangen, um die glatte Oberfläche zu streicheln.
Du bist bezaubernd schön. Komm näher, ich möchte dir in die Augen sehen!
Während Phobetor und Phantasos zuschauten, kniete sie sich neben deren Bruder.
Bedecke meine Lippen mit deinen!
Folgsam umarmte sie ihn und verband ihre Lippen in einem langen Kuss mit seinen.
Im seltsam stillen Publikum um sie herum brach aufgeregtes Flüstern aus, das wie das Rascheln trockener Kornähren klang.
Jordan hob den Kopf. »Du bist kalt«, murmelte sie.
Dann wärme mich! Mach mich bereit!
Sie strich mit ihren Händen über seine Brust, fühlte seine Granitmuskeln. Ein Stück tiefer ragte sein Phallus
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