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Die Nacht des Satyrs

Die Nacht des Satyrs

Titel: Die Nacht des Satyrs Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elizabeth Amber
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zunächst will ich sicher sein, dass ich die Fakten richtig verstehe. Das Cietta-Vermögen wäre an einen Cousin gegangen, falls deine Mutter keinen Jungen zur Welt gebracht hätte. Dann wurdest du geboren – ein Kind, das nicht ganz männlich ist –, und man gab dich als Erben deines Vaters aus. Ist das korrekt?«
    »Woher weißt du davon?«, fragte sie überrascht.
    »Antworte mir!«
    »Ja, gut, also jetzt verstehst du, warum meine Mutter vorgeben wollte, dass ich ein Junge bin. Die Regeln der Gesellschaft sind unfair. Sie wollte sie lediglich zu ihren Gunsten verbiegen.«
    »Mit Salernos Hilfe.«
    »Meine Mutter sagte, an dem Morgen meiner Geburt hätte sich der gesamte Cietta-Clan versammelt, um die Ankunft des einziges Kindes meines kurz vorher verstorbenen Vaters abzuwarten. Sie hofften sehr auf ein Mädchen. Als sie sah, dass ich einen Phallus hatte, weinte meine Tante. Genauer schaute sie nicht hin, weil sie ja nicht ahnte, dass zwischen meinen Beinen außerdem eine Vagina war. Salerno und meine Mutter behaupteten, ich wäre vollständig männlich, und die Welt glaubte ihnen. Meine Mutter und ich erbten das Vermögen, während der Sohn meiner Tante nichts bekam.«
    »Deine Mutter hat all die Jahre gelogen, was dein Geschlecht anging, um ein Vermögen zu behalten, das ihr rechtmäßig nicht zustand?«
    »Offenbar bringst du kein Verständnis für sie auf. Vielleicht muss man eine Frau sein, um zu begreifen, in welcher Lage sie sich befand.«
    »Was ich nicht verstehe, ist, wie sie dich an jedem deiner Geburtstage guten Gewissens zu Salerno schicken konnte.«
    Jordan wurde kreidebleich. Sie blickte sich in der Zelle nach einem Versteck um, als könnte sie sich vor dem verkriechen, was er ohnehin längst zu wissen schien! Aber vor der Wahrheit gab es kein Entrinnen. »Woher weißt du davon?«, fragte sie matt.
    »Salerno selbst hat es mir erzählt.«
    »Aha.« Hatte Salerno ihm auch die Zeichnungen gezeigt? Nein, das würde sie nicht fragen, denn sie wollte es nicht wissen. »Glaubst du, dass ich sie ermordet habe?«
    Raine winkte barsch ab. »Du hast niemanden ermordet. Du warst in der Nacht bei mir, als deine Mutter starb. Die ganze Nacht. Der Hotelier vom Lido wird es bestätigen.«
    »Er hat nie mein Gesicht gesehen. An jenem Abend trug ich eine Maske, wie du dich erinnern wirst. Außerdem hätte ich die Tat vorher begehen können, bevor wir uns trafen.«
    »Hast du?« Er wusste genau, wie lange ihre Mutter tot gewesen war und wie lange Jordan an jenem Tag ganz Salerno gehört hatte.
    Sie zuckte mit den Schultern. »Vielleicht.«
    »Lügnerin!«, raunte er. »Du hättest es nicht tun können. Ich sah dich früher an diesem Abend in Salernos Theater, auf der Bühne, wo du den ganzen Tag verbracht hast.«
    Jordan presste die Hände an ihre glühenden Wangen, neigte den Kopf und wandte sich ab. »Du weißt es?«, hauchte sie. »Du hast es die ganze Zeit gewusst?«
    »Ja.«
    »Und nichts gesagt?«
    Er näherte sich ihr. »Sieh mich an!«
    Schweigend wartete er, bis sie sich zu ihm umdrehte und ihm in die Augen sah. Dann nahm er sie in seine Arme. »Was Salerno mit dir angestellt hat und dir unter seiner Obhut geschah, ist nicht deine Schuld. Du warst ein Pfand.«
    »Ich habe es gehasst«, murmelte sie, die Stirn an seine Brust gelehnt.
    »Ich weiß«, versicherte er ihr und strich sanft über ihren Rücken.
    »Aber ich habe meine Mutter nicht umgebracht. Trotz all ihrer Fehler habe ich sie geliebt.«
    »Ja, ich weiß.«
    Es war stickig in der Zelle, und sie hatte Mühe, zu atmen. Entschlossen schob sie ihn von sich. »Du solltest gehen. Und komm nicht wieder! Vergiss mich!«
    Doch er zog sie erneut in seine Arme und küsste ihre Stirn. »Das ist unwahrscheinlich. Du kommst mit mir in die Toskana, sobald ich alles geregelt habe. Und, Jordan …«
    Sie blickte zu ihm auf.
    »Wir werden Kinder haben.«
    Danach forderte sie ihn noch Dutzende Male auf, zu gehen. Kaum war er schließlich fort, sehnte sie ihn schmerzlich wieder herbei.

[home]
    39
    J ordans Umstände verbesserten sich erheblich, kaum dass Raine gegangen war. Sie war sicher, dass er einige Leute geschmiert haben musste. Man brachte sie in die »non poveri«-Abteilung, wo sie frisches Bettleinen und eine gelüftete Matratze bekam. Ihre Wärter dort benahmen sich ungleich zivilisierter, und zu den Mahlzeiten servierte man ihr Essen anstelle von Genitalien.
    Gegen Abend des folgenden Tages brachte einer der neuen Wärter eine Gestalt in einem Umhang

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