Die Nacht des Satyrs
erotischer.
Auf der Rückseite war etwas in einer zarten Frauenhandschrift notiert. Es handelte sich um verfremdete Zitate aus Shakespeares berühmteren Stücken
Mittsommernachtstraum
und
Romeo und Julia
.
Mein Oberon, was für Gesicht’ ich sah! Königin Mab galoppiert bei Nacht durch meine Seel’ und macht mich von der Liebe träumen. Von dir, mein Oberon. Welch Schmerz ich ohne deine Küsse litt. Mir schien, ein Esel hielt mein Herz gefangen, zu lang …
Es ging noch weiter, aber Raine überflog die Zeilen bis zum Ende:
Heut’ Nacht verlass ich diese Welt. Ich eile zu dir. Warte auf mich, mein Oberon! Denn bald schon sinke ich in Todesschlaf, auf dass ich ewig bei dir bin.
Für immer dein,
Titania.
Neben dem Namen war ein Abdruck, wo die Schreiberin ihre nachgemalten Lippen auf das Blatt gedrückt hatte.
Ein Abschiedsbrief. Celia Cietta war überhaupt nicht ermordet worden! Sie hatte sich selbst das Leben genommen, und Raine hielt den Beweis in Händen.
Plötzlich bebten seine Nasenflügel, und er blickte auf. Jordan. Sie war hier. Er ging auf den Flur hinaus und sah sie unten in der Diele stehen. Verwundert blickte er hinter sie zur Tür, als erwartete er, dass Gefängniswärter ihr folgten.
»Ich bin entkommen«, sagte sie ohne weitere Erklärung. »Was tust du hier? Und was ist das?«, fragte sie mit Blick auf das gefaltete Blatt in seiner Hand.
Er lief zu ihr nach unten, nahm sie in seine Arme und erzählte ihr, was er soeben herausgefunden hatte. Es blieb noch genügend Zeit, um Celias letzten Brief an die Behörden zu übergeben, nachdem er Jordan wieder sicher in die Toskana gebracht hatte.
Gemeinsam verließen sie das Haus durch die Vordertür und schlossen sie ab. Sie ließen Jordans Vergangenheit für immer hinter sich.
[home]
Epilog
J ordan wachte langsam auf. Ihr Schaft war steif und ihre Scheide feucht. In der Nacht, als sie neben dem Mann im Bett schlief, mit dem sie seit drei Tagen vermählt war, hatte sie einen neuen Traum gehabt – einen wunderschönen. Es war die Art Traum, die so farbenfroh und detailgetreu ist, dass man kaum glauben mag, er wäre nicht real gewesen.
Das jedoch würde er eines Tages, nahm Jordan sich vor.
Ja, solche Träume hatte sie neuerdings. Sie waren keine obskuren Hinweise mehr auf düstere Geschehnisse. Heute prophezeiten sie ihr glückliche Wendungen und angenehme Begebenheiten. Ihre Zukunft.
Unter Raines Anleitung hatte sie gelernt, die Visionen zu beherrschen, die sie in nächtlichen Stunden heimsuchten. Sie konnte ihre Alpträume bändigen.
Der Traum, den sie heute Nacht gehabt hatte, war wieder einmal ein dreiteiliger gewesen. Der erste Abschnitt begann mit dem Morgen ihres nächsten Geburtstages, des zwanzigsten. Bis dahin waren es nur noch acht Monate …
In ihrem Traum war sie mit einem stummen Schrei aus dem Schlaf aufgeschreckt. Es war Morgen – ihr Geburtstag. Ihr Herz pochte wild, und vor Furcht zitterte sie am ganzen Leib. Bald wäre Salerno hier. Sie warf die Bettdecken beiseite und wollte weglaufen. Diesmal ging sie nicht mit ihm, hatte sie sich geschworen. Sie würde sich nicht der Erniedrigung eines weiteren Geburtstages aussetzen, den sie damit verbrachte, sich nackt von Tausenden Augen angaffen und von Bemerkungen neugieriger Fremder verletzen zu lassen.
Dann hatten Raines Arme sich um sie gelegt und sie an ihn gezogen. Zuerst hatte sie nach ihm geschlagen, weil sie noch ganz in ihren alten Ängsten gefangen war. Auf einmal aber erinnerte sie sich, wo sie war und wer sie hielt. Das Hämmern ihres Herzens hatte sich beruhigt, und sie entspannte sich.
Er hatte ihr Haar gestreichelt und sie geküsst, wobei er ihr zärtliche Worte zuflüsterte. Mit seinen Berührungen hatte er den Schrecken und die Beschämungen aller anderen Geburtstage vorher vertrieben.
Im nächsten Moment, wie es in Träumen geschieht, fand sie sich unvermittelt in einer anderen Szene wieder – der zweiten Traumsequenz.
Es ging um eine Feier am selben Tag, die auf dem Rasen vor Raines Haus abgehalten wurde. Vor dem Haus, das nun Raines und ihr Heim war.
Der ganze Satyr-Clan hielt sich dort auf. Jane und Nick hatten ihren Sohn Vincent und Janes Schwester Emma mitgebracht, die sage und schreibe fünfzehn Zentimeter gewachsen war und schon ganz wie eine junge Dame aussah.
Das Fest wurde zu Ehren von Jordans zwanzigstem Geburtstag gegeben – und von Janes sowie dem einer dritten Schwester. Alle waren im Abstand innerhalb eines Jahres geboren und hatten
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