Die Nacht des Satyrs
zurückkommen und sie holen – in einem Jahr, an ihrem nächsten Geburtstag. Sträubte Jordan sich, hielte ihre Mutter ihr abermals einen Vortrag über Gehorsam und würde sie mit ihm schicken.
Vielleicht bot die Flucht mit diesem Mann die beste Chance, die Jordan bekam, um sich ihrem Schicksal zu entwinden. Er würde sie weit von Venedig wegbringen, wo sie einen Neuanfang wagen konnte. Aber sie konnte ihre Mutter nicht wortlos verlassen. Das wäre grausam. Bei all ihren Fehlern, liebte ihre Mutter sie auf ihre Art, und sie würde sich sorgen.
Es klopfte an der Tür, und das Bad wurde hereingebracht.
»Lasst Euch mit der Entscheidung Zeit«, schlug Raine vor. »Wir baden erst, frühstücken und warten, bis Eure Kleidung hier ist.«
Während sie badete, ging er nach unten, um einiges mit dem Hotelier zu besprechen. In seiner Abwesenheit benutzte Jordan den Nachttopf, band anschließend ihr Glied wieder hoch und lieh sich ein frisches Hemd sowie eine Hose aus seinem Gepäck. Er lächelte, als er zurückkehrte und ihre lächerliche Aufmachung sah, sagte jedoch nichts.
Glücklicherweise stand seine Mutter zu ihrem Wort. Innerhalb weniger Stunden trafen Kartons mit Kleidern, Hüten, Handschuhen und allem sonstigen ein, was eine junge Dame brauchte.
Jordan entfuhren verzückte »Oh!«- und »Ah!«-Rufe angesichts der schönen Sachen. Jedes der drei Kleider, die gekommen waren, packte sie feierlich aus und hielt es sich an. Zwei waren aus Musselin, das dritte aus Chintz mit zwei Volants unten am Saum.
»Oh, sie sind wunderschön! Seht nur diese Spitze und diese Nadelarbeit!«
Raine indessen hatte eher Augen für ihr Gesicht als den edlen Flitter. »Meine Mutter besitzt einen untadeligen Geschmack.«
Nachdem Jordan die Kleider auf dem Bett abgelegt hatte, öffnete sie das nächste Paket. »Und seht doch diese herrlichen Hüte – Stroh mit Samtbändern und ein Seidenhut mit Rüschen und Straußenfedern! Und die Schuhe! Zwei Paar, eines hoch und eines flach. Oh! Und sie passen!«
Raine lehnte sich in einem Sessel zurück, die Füße in Stiefeln auf einer Ottomane abgelegt. Zwar hatte er ein Buch in der Hand, schlug es aber nicht auf. Stattdessen beobachtete er die begeisterte Jordan, die voller Entzücken alles wieder und wieder aufnahm, was seine Mutter für sie hatte schicken lassen. Ja, er musste sogar ein wenig lächeln.
Wie ein Pirat, der seine jüngste Beute begutachtete, durchstöberte sie die restlichen Kartons. Irgendwann erreichte sie allerdings das letzte Stück, das sie aus dem dünnen Papier auswickelte und in die Höhe hielt.
»Ein Korsett!«, hauchte sie voller Ehrfurcht. Obgleich das Ding mit der Bindung im Rücken und den knochenverstärkten Seiten wie ein Folterinstrument aussah, liebte sie es auf Anhieb. Für die kurze Zeit, die sie unter seinem Schutz stand und sich als Frau verkleiden durfte, wollte sie alles erleben, was andere Frauen für selbstverständlich nahmen.
Sie eilte ins Ankleidezimmer, wo sie Raines Sachen auszog und in ein Hemdchen und einen bestickten Musselin-Unterrock schlüpfte. Dann kehrte sie mit dem Korsett in der Hand zu ihm zurück.
»Helft mir bitte hiermit!«, sagte sie, streifte sich das Korsett über den Kopf und drehte ihm den Rücken zu.
Raine beäugte sie fragend. »Ihr seid sehr schlank. Ein Korsett scheint mir kaum vonnöten.«
»Ich will es aber«, beharrte sie. »Bitte!«
Er legte sein Buch ab und kam zu ihr. Methodisch fädelte er die Bänder durch die Ösen des Korsetts, bis es komplett gebunden war.
»Es sitzt zu locker«, klagte Jordan, als sie an sich hinabsah. »Es sollte meine Brüste nach oben drücken, so«, erklärte sie und demonstrierte es, indem sie ihren Busen mit beiden Händen höher schob.
Er seufzte. »Na schön.«
Also machte er sich daran, das Korsett nochmals und fester zu schnüren. »Wie ist es jetzt?«
Probeweise atmete Jordan einige Male ein und aus. »Als wäre meine Lunge in eine Schraubzwinge eingeklemmt.«
Seine Mundwinkel zuckten. »Klingt ja verlockend!«
Sie grinste ihn an und trat vor den Spiegel, um zu prüfen, welche Wirkung das Korsett auf ihre Figur hatte, und schien zufrieden. »Es erinnert mich daran, wie ich früher beim Schwimmen in der Lagune so tief tauchte, dass meine Lunge nach Luft rang.«
»Ich entsinne mich nicht, jemals von einer Frau gehört zu haben, dass sie im Freien geschwommen ist«, entgegnete er.
»Zumindest von keiner, die es zugeben würde«, gab sie zurück und bemerkte gar nicht, dass
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