Die Nacht des Satyrs
kannte. Sie packten seine Sachen und brachten ihn zur Kutsche der Familie hinaus.
Sein Vater hatte ihm nichts erklärt. Wortlos ritt er auf seinem Pferd neben dem Wagen her und eskortierte Raine aus Venedig heraus.
Schließlich erreichten sie das Gut Satyr, bestehend aus drei Castelli, die wie ein Lehnsgut hoch über der Toskana thronten. Das Gut war umgeben von fruchtbaren Ländereien, Weinbergen und Wäldern, um die sie alle in der Gegend beneideten. Aber das hatte Raine zu jener Zeit nicht gewusst.
Im Hof kam ein Mann der Kutsche und Raines Vater entgegen, als hätte er sie bereits erwartet. Er war groß, stark und irgendwie vertraut.
Raine atmete ein, um seinen Duft zu erkunden. Erstaunlicherweise konnte er ihn nicht entdecken, deshalb wagte er sich näher an den Fremden, doch immer noch roch er gar nichts. Verwundert sah er den älteren Mann an.
Dessen Augen waren die gleichen wie Raines und blickten ihn mit einer Intensität an, dass Raine sofort das seltsame Gefühl hatte, er würde zu dem Mann gehören.
»Meine Hure von Gemahlin hat Euch einen Sohn geboren, Lord Satyr«, begann Raines Vater. »Zieht ihn auf, oder werft ihn raus, es ist mir gleich. Aber haltet ihn von meinem Haus fern! Er ist vom Teufel beschmutzt. Zweifellos werdet Ihr Gefallen an ihm finden.«
Dann ließ ihn der einzige Vater, den Raine jemals gekannt hatte, bei dem Fremden zurück. Alles Weitere zu erklären, oblag damit Lord Satyr, der tatsächlich Raines leiblicher Vater war.
»Du bist hier willkommen«, sagte der Mann zu ihm, »als mein Sohn und Erbe.« Und man hatte ihn freundlich aufgenommen.
Am selben Tag noch lernte er seine beiden Halbbrüder, Nick und Lyon, kennen. Alle drei trugen sie das Blut ihres Vaters und das einer menschlichen Mutter in sich. Einzig Raine war ein illegitimer Sohn, da er eine andere Mutter hatte als seine Brüder.
Danach sah er seine Erdenwelt-Eltern, die ihn bis zum Alter von dreizehn Jahren aufgezogen hatten, nie wieder.
Bis heute.
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12
H eraus damit, Mutter!«, verlangte Raine. »In wessen Bett befindet sich Euer Ehemann, und was schlagt Ihr vor, dass ich dabei tue?«
Ihre Augen sprühten buchstäblich Feuer, obgleich ihre kultivierte Stimme vollkommen ruhig blieb. Durch den Türspalt betrachtete Jordan sie fasziniert. Wie gern hätte sie selbst diese Technik perfektioniert!
»Nun gut«, lenkte seine Mutter ein. »Wie du bereits richtig vermutet hast, zerstreut er sich wieder einmal mit einer Dirne. Ich wünsche, dass du ihn findest und bittest, nach Hause zurückzukommen, ehe die Leute zu reden anfangen.«
»Wisst Ihr den Namen und die Adresse dieser sogenannten Dirne?«, erkundigte Raine sich. »Oder soll ich von Tür zu Tür wandern und fragen, ob dort irgendwelche Flittchen wohnen, die einen Herren zu viel in ihrem Bett haben?«
»Signora Celia Cietta – so heißt die Schlampe.«
Jordan stockte der Atem. Raines Vater unterhielt eine Affäre mit ihrer Mutter?
»Hört auf zu lauschen, und kommt zu uns, Jordan!«, befahl Raine, der zum Türspalt schaute.
»Na schön«, murmelte Jordan, die sich weigerte, beschämt zu sein, weil sie ertappt worden war. Als sie den Türknauf drehte und aus dem Ankleidezimmer trat, musterte Raine sie von oben bis unten, ehe er sich wieder seiner Mutter zuwandte.
»Ich bezweifle, dass Euer Gemahl mich anhören will. Immerhin bin ich … wie nannte er es noch, als er mich aus dem Haus warf? Ach ja, jetzt fällt es mir wieder ein – eine Teufelsbrut.«
Seine Mutter wurde unruhig, weil er sie so kühl betrachtete, und eisiges Schweigen senkte sich über den Raum. Jordan beobachtete den stummen Machtkampf zwischen Raine und seiner Mutter interessiert.
»Wie dem auch sei, ich helfe Euch unter einer Bedingung: Meine Freundin, Signorina …« Raine blickte fragend zu Jordan.
»Alessandro«, improvisierte sie.
»Signorina Alessandro braucht angemessene Kleidung«, fuhr Raine fort. »Mehrere Kleider und …« Wieder geriet er ins Stocken.
»Accessoires?«, half Jordan ihm aus.
Raine nickte. »Ja. Was immer eine Signorina von neunzehn an Gewandung und Ähnlichem haben sollte. Eine vollständige Garderobe, von Kopf bis Fuß.«
»Und inwiefern betrifft mich die Garderobe deiner
Freundin?
«, fragte seine Mutter spitz.
»Als Gegenleistung für meine Hilfe werdet Ihr ihre Maße nehmen, bevor Ihr dieses Zimmer verlasst. Damit sucht Ihr die besten Geschäfte Venedigs auf und sorgt dafür, dass Signorina Alessandro bis heute Nachmittag vollständig
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