Die Nacht des Satyrs
sein Lächeln eine Nuance intensiver wurde.
Sie zog sich eines der Musselin-Kleider über den Kopf und ließ es sich von ihm hinten schließen. Dann wiegte sie sich hin und her, vor und zurück, und sah fasziniert zu, wie die Röcke um sie herum wippten. Kühle Luft strich über ihre Knöchel und Beine.
In Hosen waren ihre Geschlechtsteile zwischen den Beinen eingehüllt und verborgen. Aber unter ihren Röcken trugen die meisten Frauen keine Hosen oder überhaupt Unterwäsche, gleich welcher Art.
Natürlich hatte Jordan das gewusst, denn was sich unter den Röcken einer Frau befand und was nicht, hatte Paulo und Gani stets brennend interessiert, und sie hatte sich ihren wilden Spekulationen angeschlossen, um nicht aufzufallen. Aber nie hatte sie darüber nachgedacht, wie es sein müsste, wie eine Frau gekleidet zu sein. Bis jetzt.
Es war leicht für eine männliche Hand, unter die Röcke zu schlüpfen und über die Fesseln, die Waden, die Knie und die Schenkel nach oben zu gleiten. Blitzschnell. Solche Kleidung machte Frauen angreifbar, und das in jedem Sinne des Wortes.
Jordan nahm die Haarnadeln, die in einem anderen Päckchen gekommen waren, und begann, sich das Haar so aufzustecken, wie sie es bei ihrer Mutter oft gesehen hatte. In der Abgeschiedenheit ihres Zimmers daheim hatte sie häufig gespielt, sie würde ihre eigenen ungleich kürzeren Locken ebenso arrangieren, um sich für einen vornehmen Ball zurechtzumachen.
Nachdem sie sich den weniger auffälligen Hut aufgesetzt hatte, betrachtete sie sich erneut im Spiegel. »Ich sehe verdammt gut aus.«
Erst als Raine laut auflachte, fiel ihr Blick auf sein Gesicht im Spiegel.
»So spricht eine wahre Dame«, versicherte er.
Sie starrte ihn verwundert an. Seine Augen funkelten, und auf seiner einen Wange zeigte sich die Andeutung eines Grübchens. Zum allerersten Mal sah sie ihn wahrhaft amüsiert, und sein Lachen verwandelte ihn von einem lediglich gutaussehenden in einen umwerfenden, atemberaubenden Mann.
»Verflucht richtig«, bestätigte sie und war erstaunt, wie mühelos sie ein verführerisches Lächeln zustande brachte. Vielleicht waren weibliche List und Charme gar nicht so schwer, wenn man erst einmal wie eine Frau aussah.
Hingegen schien er durch ihren Blick ernüchtert, denn das Grübchen verschwand und der wortkarge Mann von gestern Abend kehrte zurück.
»Allerdings beeinträchtigt die Maske den Gesamteindruck«, erklärte er. »Und sie könnte uns Schwierigkeiten einhandeln, wenn wir nach Venedig übersetzen, denn die Österreicher haben den Karneval und alles, was mit ihm zusammenhängt, gesetzlich verboten.«
Unsicher berührte Jordan ihre Bauta. Sie hatte noch nicht entschieden, ob sie mit ihm in die Toskana fahren würde. Nach Venedig aber wollte sie ihn auf jeden Fall begleiten. Und dort konnte sie die Maske tagsüber nicht tragen, denn das würde Aufmerksamkeit erregen.
Ohne den Blick von seinem Spiegelbild abzuwenden, band sie die Maske langsam auf und ließ sie zu Boden fallen.
»Nun?«, fragte sie nervös, als er gar nichts sagte.
Er zuckte mit den Schultern. »Nun was? Ihr seid wunderschön, aber ich bin sicher, dass Euch das bereits bekannt ist.«
Wunderschön. Er nannte sie wunderschön. Noch so ein Schatz für ihre mentale Sammeltruhe, die sie mit wertvollen Erinnerungen bestückte, seit sie ihn kannte.
»Natürlich«, bestätigte sie mit stolz erhobenem Kinn. »Aber ich werde es nie leid, das zu hören.« Während sie sich über die schmalen Seiten strich, musterte Jordan weiter ihr Spiegelbild. Sie konnte sich halbwegs vorstellen, wie schockiert ihre Mutter sein würde, wenn sie sich später begegneten.
Falls
sie sich begegneten.
Als Raine nach unten ging, um ihnen eine Gondel zu ordern, schrieb sie eine kurze Nachricht.
Teuerste Mama!
Sucht nicht nach mir, und sorgt Euch nicht meinetwegen! Ich bin in Sicherheit und werde nach Hause zurückkehren, wenn die Zeit reif ist.
J.
Sollte das Schicksal entscheiden, ob sie in Venedig blieb. Bei ihrer Ankunft in der Stadt würde Jordan allein zum Hintereingang ihres Hauses gehen, der in einer Seitengasse lag, und zunächst einmal erkunden, welche Stimmung herrschte.
Falls Salerno noch dort war, würde sie die Nachricht anonym einem Bediensteten übergeben und Venedig mit ihrem Gefährten verlassen. Dann erführe ihre Mutter nie, dass sie da gewesen war.
Stellte sich indessen heraus, dass Salerno nicht mehr zugegen war, würde sie einfach ihren Hut abnehmen, ihr Kleid
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