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Die Nacht des Schierlings

Die Nacht des Schierlings

Titel: Die Nacht des Schierlings Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Petra Oelker
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Natürlich ist das völlig aus der Luft gegriffenes Zeug, Phantasterei und Spökenkram. Ich habe es gestern Abend im Kaiserhof gehört, und wenn es schon in so manierlichen Häusern rumgeht – Ihr wisst, wovon ich rede? Ja, es geht gegen Herrmanns, es passt wohl einigen nicht, wenn er demnächst womöglich zum Rat gehört, die schleudern rechtzeitig vor der Wahl Dreck. Solche gibt es ja immer, egal um welche Wahl es geht. Allesamt miese Neider. Mein alter Freund Herrmanns soll was mit der kleinen Runge gehabt haben? Lächerlich, absolut lächerlich!, aber so wird erzählt, und dann soll er den Konfektbäcker, ihren Stiefvater – ich will das nicht alles wiederholen, ist nur Schmutz. Ich will nur, dass Ihr das klärt. Fegt den Dreck weg, Wagner, ein für alle Mal. So gründlich, dass die Schandmäuler schweigen müssen. Also geht zu Herrmanns und befragt ihn, das soll ruhig jeder wissen. Seid höflich, aber ohne Samthandschuhe, der Mann ist durch und durch honorig und will ernst genommen werden. Und dann, egal was Ihr von ihm hört, zuerst damit zu mir. Verstanden? Nur zu mir. Danach sehen wir weiter. Und findet endlich den Kerl, der wirklich dem Hofmann das Lebenslicht ausgeblasen hat. Die Auswahl kann nicht groß sein. Ich denke, Ihr habt mich verstanden. Klingt doch alles ganz einfach.»
    Wagner saß stocksteif auf seiner Stuhlkante und wagte kaum zu atmen, der Silberknopf brannte in der Tasche. Honorig … absolut lächerlich … ernst genommen … nur zu mir … ganz einfach – all das ballte sich in seinem Kopf zu einem wirren Knäuel.
    Senator van Witten lehnte sich aufatmend wie nach einer unwirschen Rede vor der ewig widersetzlichen Bürgerschaft zurück, schob, seinen Worten nachsinnend, die Unterlippe vor und blickte, die Hände über dem ausladenden Bauch gefaltet, zur Decke, von der sich just in diesem Moment eine Spinne an ihrem Faden herabließ. Ein Windhauch vom offenen Fenster wehte sie direkt gegen das unter dem Leuchter hängende Fliegenpapier, wo sie im vergifteten Leim, mit ihren Beinchen rudernd, ihr Ende fand.
    «Geschnappt», sagte der Senator, «wieder eine geschnappt.» Er mochte keine Spinnen, leider gab es sie ohne Zahl.

KAPITEL 9
    E r hatte einfach nicht Acht gegeben. Als er zuletzt das Kassenbuch kontrolliert hatte, damit vor allem sich selbst, denn manchmal notierte er nicht gleich gewissenhaft, was er einnahm und ausgab, weil schon ein anderer Käufer wartete oder – zugegeben – seine Gedanken abschweiften, wie besonders in den letzten Tagen häufig. Aber nun war er sicher, jedenfalls ziemlich sicher, dass mehr in der Kasse fehlte, als dass eine kleine Schlamperei die Ursache sein konnte. Friedrich? Der nahm nie etwas heraus, der ließ sich Geld geben, wenn er etwas brauchte, sehr selten für sich selbst, zumeist für das Laboratorium. Momme? Der war nun schon fünf Jahre bei ihm und hatte sich nie von etwas verführen lassen, was ihm nicht gehörte oder zustand. Er war seltsamer Stimmung neuerdings. Oder er, Leubold, sah und hörte nur etwas, was nicht da war, weil er selbst es war, dessen Stimmung und Befindlichkeit sich änderten.
    An manchen Tagen fühlte er sich nicht als erfahrener Kenner und Könner in Sachen Heilmittel aller Art und Besitzer einer gut ausgestatteten Apotheke, sondern wie ein heimatloses Kind. Dann fürchtete er sich nicht im Dunkeln oder vor dem Teufel, jedenfalls kaum mehr, als es nur vernünftig war, es war noch schlimmer: Er fühlte sich an diesen Tagen in eine Welt ohne Plan und ohne Ziel geworfen. Dann war es, als müsse er sich ducken und ganz still verhalten, zugleich aufmerksam sein und Acht geben auf irgendetwas, das vorbeikommen könnte, ihn zu erlösen.
    Erlösen. Was für ein großes Wort, dachte Gerrit Leubold jetzt, das klingt übel nach Selbstmitleid. «Du hast dir die Suppe selbst eingebrockt, nun löffle sie auch selbst aus. Angefangen …», murmelte er und schluckte erschreckt, auf «angefangen» reimte sich «gehangen». Das passte nicht wirklich zusammen, weder in der alten Spruchweisheit noch in der Realität. Dabei hatte er sich mit «angefangen, weitergegangen», dem Credo seines Lehrmeisters, aufmuntern wollen. Der war ein kluger Mann von hartnäckigem Charakter gewesen und hätte sich kaum von ein bisschen Gegenwind unterkriegen lassen. Der hätte – wenn es denn so weit kam – knurrend, aber entschlossen die Stadt als Buckelapotheker verlassen, wieder die Kiepe mit Kräutern, Tinkturen, Dragees und allerlei Wässerchen

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