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Die Nacht des Schierlings

Die Nacht des Schierlings

Titel: Die Nacht des Schierlings Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Petra Oelker
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auf den Rücken geschnallt und von vorne angefangen. Hätte wohl auch ein Pulver für die Träumer, die Leichtgläubigen und die ganz Verzweifelten mitgenommen, ein «geheimes Allheilmittel», eines, das auch als Gegenmittel für Gifte jeglicher Art und Herkunft wirkte, dazu ein weiteres, das Schönheit versprach und Jugend.
    Er hatte sechs Jahre bei dem alten Mann in Nienburg gelernt, auch aus den Büchern fleißig Latein und Botanik, viel von der Krankheitslehre und der Chymie, die Herstellung der Arzneien, der Pulver und Mixturen, Emulsionen, Pasten, Pflaster, Öle oder Tinkturen, Pillen und Zäpfchen. Er war endlich vom Stadtphysikus vor dem Rat in allem gründlich geprüft worden und konnte alles machen, was ein Apotheker herstellen sollte, kannte jedes Würzelchen, unterschied alle Rinden und selbst die getrockneten Blüten voneinander, die tierischen Mittel wie die winzigen grünen Spanischen Fliegen und mineralischen wie das Arsenik oder Quecksilber, Säuren und Lacke.
    Er fand im Zusammenspiel von Augen, Tastsinn, Nase und seinem Wissen um die Schätze der Natur und die Erkenntnisse der Wissenschaften die richtigen Mittel für die Rezepte und Erfordernisse der Kranken. Und doch fragte er sich an manchen Tagen, wozu all die Mühe und all das jahrelange Lernen, wenn die Menschen sich von der bei Neumond unter dem Richtblock zusammengekratzten Erde mehr Heilung versprachen oder von einer unter dem Galgen – möglichst noch mit baumelndem Gehenkten – ausgegrabenen Alraune.
    Auch der alte Mann hatte alles gewusst, was die Apotheker im Laufe der Jahrhunderte an Wissen gesammelt hatten; vieles, was in alter Zeit verwendet worden war, war inzwischen als unwirksam erkannt, aber der Theriak, der alles heilen sollte, blieb eines der gefragtesten Mittel. Der Alte hatte sich gut auf diese Pulver und Pasten verstanden, in seinem waren nicht hundert Ingredienzien gewesen, wie in alten Rezepten und Vorschriften, sondern nur sechsundzwanzig, darunter neben etlichen Kräutern und zerriebenen Wurzeln auch getrockneter Hirschpenis, Flussperlenstaub – Kreuzotterfleisch und Opium verstanden sich von selbst.
    Seinen Lehrburschen hatte er eingebläut, darauf müsse sich jeder kundige Apotheker verstehen, es sei jahrhundertealtes Wissen, und wichtig sei nur, die Kundschaft vertraue auf die geheimen Kräfte. Allein das mache schon viele gesund. Diese Kritikaster, die sich neuerdings dagegen aussprächen und von Quacksalberei faselten, von Unvernunft, gar von Betrug, sollten erst mal etwas Besseres finden, dann könne man weiter disputieren.
    Leubold glaubte nicht daran, was sicher auch dazu beitrug, dass die Kundschaft ihm nicht gerade die Tür einlief. Natürlich hatte auch er allerlei von solchem Firlefanz in seinen Dosen und Schubladen, Gläsern und Flaschen, es musste jedoch halbherzig klingen, wenn er sie anpries, und wer vertraute schon auf ein Wundermittel, das halbherzig angepriesen wurde?
    Er sollte Friedrich die Arbeit am Verkaufstisch in der Offizin tun lassen; wenn der wollte, verstand er es ganz wunderbar, überzeugend zu sein, wer wüsste das besser als er, sein geplagter Neffe? Auch verstand der alte Mann sich darauf, den Frauen Komplimente zu machen, ob Kleinmädchen oder Großbürgerin, für jede fand er das richtige Wort, den richtigen Ton, übrigens auch für den männlichen Teil der Welt. Es war ja ein Irrtum zu glauben, die Männer seien immun gegen noch so durchsichtige Schmeichelei, und sei es, einem gestrengen Professor des Akademischen Gymnasiums zu versichern, der hohe Grad seiner Kenntnisse, seine ganze Wissenschaft sei in seinem Blick zu erkennen, im kühnen Ausdruck seiner Augen. Ein gutes Augenwasser werde das auch für andere deutlich machen, er habe da just eines destilliert … Keiner war dagegen unempfindlich, wenn er es auch noch so entschieden behauptete.
    Dabei fiel ihm ein, Jungfer Runge hatte um ein Augenwasser für ihre Mutter gebeten, allerdings vor dem Tod Meister Hofmanns. Es war bedauerlich, doch jetzt brauchte sie es gewiss noch dringlicher. Er hatte Kompressen mit einem Absud des wunderbaren Euphrasia officinalis empfohlen, des hochwirksamen Augentrosts. Mit Glück fand man sogar noch jetzt im Oktober spätblühende Pflänzchen, die Blüten waren so zart und leicht, schon ihr Anblick war ein Augentrost.
    Wie Molly Runge, wenn sie auch eher rundlich und von zupackendem Wesen war, wirkte sie doch zart, jedenfalls in seinen Augen, auf jeden Fall entzückend. Er würde es nicht wie

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