Die Nacht des Schierlings
ihretwegen kommen. Sie wirkt sehr – wie soll ich es sagen? Sehr einladend. Ja, das ist es wohl.»
Florinde, als ein neues Mitglied der Becker’schen Gesellschaft Erste Soubrette, junge Naive und Tänzerin, war in der Tat eine Schönheit. Und das absolute Gegenbild zu Rosina, deren Rollen sie übernommen hatte. Florindes Haar war beinahe ebenholzschwarz, lang, glatt und seidig, Rosinas dicke, schwer zu bändigende Locken waren honigblond, beide waren sehr schlank, und wenn Rosina sich auch die Beweglichkeit und Leichtigkeit einer Tänzerin erhalten hatte, entsprach die um etwa ein Jahrzehnt jüngere Florinde viel mehr der Verkörperung eines Geschöpfes, das in heitere, neckische oder frivole Rollen schlüpfte. Ihre Haut war trotz der langen Reisen auf dem Komödiantenkarren makellos, Rosinas schönes Gesicht zeigte schon gelebtes Leben, nicht zuletzt in der feinen Narbe, die sich über die linke Wange bis zum Kinn zog.
Nun war es an ihr, ihren Mann liebevoll anzusehen. Magnus hatte einen unabhängigen Geist, er blickte voller Neugier auf die Welt und mit einem verblüffenden Mangel an Vorurteilen. Wäre es anders, hätte er kaum den Mut gehabt, eine Wanderkomödiantin zu lieben und sogar zu heiraten, wenn auch eine mit großbürgerlichen Wurzeln. Sie hatte gefürchtet, er könne diesen Schritt bei aller noch so großen Liebe bereuen, sobald er merkte, dass sie wegen ihrer Vergangenheit Außenseiter bleiben mussten. Aber das war nicht geschehen, sie hatten Freunde in der Stadt, sie lebten ein gutes, wenn auch manchmal allzu ruhiges Leben. Sicher lag es nicht zuletzt an Magnus’ Unbefangenheit, mit der er sich auch als ihr Ehemann und mit ihr gemeinsam ganz selbstverständlich in der Hamburger Gesellschaft bewegte, wenn sie in den meisten Häusern gern gesehen waren.
«Du bist ziemlich wortkarg heute Morgen», schmunzelte er, «oder hat dir die Erwähnung der koketten Florinde die Sprache geraubt?»
«Spotte nur. Für die Vaudeville-Nummern ist sie genau die Richtige. Ich finde nur, sie könnte sich ein bisschen mehr Mühe geben. Sie ist nicht pünktlich bei den Proben, sie kann ihre Texte nicht, und wenn sie bereit wäre, weiter an ihrer Stimme zu arbeiten, wäre sie noch viel besser. Aber vielleicht ist es so, wie es ist, gut. Wäre ihre Stimme reiner, würde sie sicher gleich von einer größeren Gesellschaft oder gar an ein Hoftheater engagiert, und was sollten wir dann tun?»
Magnus grinste breit, sogar sehr breit. «Höre ich da Hoffnung in deiner Stimme? Jeder weiß, was wir dann tun sollten. Oder müssten. Wir …»
«Nein!» Rosina schob energisch ihren Stuhl zurück und erhob sich. «Ich weiß, dass du nichts dagegen hättest, wobei ich sicher bin, dass du diese Großzügigkeit bald bereuen würdest, aber ich habe mich dagegen entschieden, und dabei bleibt es. Was glaubst du, wird geschehen, wenn ich wieder auf die Bühne gehe? Ich würde da doch nicht mit frommem Blick und straffgezogenem Brusttuch stehen und Kantaten singen. Auf unserer Bühne – ach, das weißt du doch alles.» Sie küsste ihn auf die Wange, löste die obere Schleife ihres Gewandes und setzte sich ans Spinett. «Ich fürchte», sagte sie leichthin und schlug willkürlich ein paar Tasten an, «es ist schlimm genug, dass ich in diesem Frühjahr wieder unserem fleißigen Weddemeister Wagner ins Handwerk gepfuscht habe, dazu mit einer Dame, die in den Salons nicht empfangen wird. Andererseits», wieder schlug sie ein paar Tasten an, nun fügten sich die Töne zum Beginn einer Melodie, «immer noch besser in Gesellschaft halbwegs manierlicher Komödianten als unter Mördern und Spitzbuben. Oder? Als Monsieur Lessing noch am Großen Komödienhaus Dramaturg war, haben selbst Madam van Witten und die Bocholts mal das Theater besucht.»
«Sehr richtig», versicherte Magnus und bemühte sich um ein ernstes Gesicht, «sehr richtig. Trotzdem habe ich so ein Gefühl, als könntest du dich mit dem Entweder-oder nur sehr schwer arrangieren.»
Das bedurfte keiner Antwort. Sie wussten beide, wie recht er hatte. Allerdings nicht, wie bald sich sein Gefühl durch den Lauf der Ereignisse bestätigen werde.
KAPITEL 2
O bwohl es auf Mittag ging, war die Luft in der Stadt noch frisch, die Sonne schickte, wo immer sich zwischen den Mauern eine Lücke öffnete, wärmende Strahlen in die engen Gassen, und von der Elbe flatterte ein beharrlicher kleiner Wind herein, der Molly an Schmetterlinge denken ließ. Den Schiffern und Schiffseignern, die auf
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