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Die Nacht des Schierlings

Die Nacht des Schierlings

Titel: Die Nacht des Schierlings Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Petra Oelker
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jedoch am wenigsten tolerieren konnte.
    «Mein Neffe fühlte sich gestern nicht wohl, Weddemeister», mischte sich Reuther ein, «auch heute noch nicht, das sieht man doch, oder?»
    Er hat etwas Unbekömmliches gegessen, etwas Verdorbenes, hatte er fortfahren wollen, das ließ er lieber. Es war überhaupt nicht gut für einen Apotheker, wenn er verdorbene Speisen nicht von essbaren unterscheiden konnte. In den meisten Fällen vermochte das kein Mensch. Von Apothekern erwarteten es die Leute dennoch. Zum anderen erinnerte es viel zu sehr an die Fragen, die der Weddemeister vor wenigen Minuten in Mommes Stube gestellt hatte, und das war auch nicht gut.
    «Er war nicht wohl», wiederholte Reuther eilig, «er arbeitet zu viel und gönnt sich zu wenig Ruhe und Vergnügen. So ist er, immer fleißig, und das ist nicht gesund.»
    «Lassen Sie nur, Onkel, wir wollen Weddemeister Wagner nichts vormachen.» Leubold rubbelte sich mit den Händen über das Gesicht, danach sah er allerdings auch nicht lebendiger aus. «Tatsächlich war ich betrunken, sogar sehr betrunken. Die Apotheke läuft nicht so, wie ich es geplant hatte, um es deutlich zu sagen: Wenn es so weitergeht, muss ich sie in ein paar Monaten schließen und mit der Kiepe auf dem Rücken über Land ziehen. Es ist unwahrscheinlich, dass mich ein anderer Apotheker als Gesellen aufnimmt. Jedenfalls in dieser Stadt. Nicht mal die Ratsapotheke ist sorgenfrei, und deren Apotheker bekommt ein festes Honorar aus dem Rathaus. Meine Zukunftsaussichten gefallen mir nicht, leider war gerade eine Flasche Branntwein im Haus, und da», er hob bedauernd Schultern und Hände, «tja, da habe ich nicht das rechte Maß gefunden. Ich bin dann hier auf dem Stuhl eingeschlafen, irgendwann in der Nacht habe ich es noch bis in mein Bett geschafft. Daran erinnere ich mich nur vage. Ich bin nicht stolz darauf, aber das ist mir jetzt einerlei. Ich will wissen, was mit Momme passiert ist. Und bitte, Onkel, sagen Sie jetzt nicht wieder: mausetot. Das weiß ich. Auch wenn es noch nicht in meinen Kopf will.»
    «Ihr habt ihn also sehr geschätzt?», fragte Wagner.
    «Mal mehr, mal weniger, er bedurfte manchmal einer ordentlichen Portion Geduld. Er war nicht der Schnellste, sicher auch nicht der Eifrigste, wenn es darum ging, mit anzufassen. Aber er war verlässlich, meistens heiter, und vor allem gehörte er doch zu uns. Und ein Leben ist ein Leben, Weddemeister. Jeden Tag, jede Stunde sterben Menschen, viele Menschen, ihr mögt daran gewöhnt sein. Aber wenn einer im eigenen Haus stirbt, dazu ein so junger Mann», er überhörte das unwillige Schnauben des alten Friedrich, «und dann auf diese Weise … Sollte mich das unberührt lassen?»
    «Unberührt, nun, das kommt darauf an. Ihr sagt ‹auf diese Weise›. Auf welche?»
    Leubold und Reuther tauschten einen raschen Blick, dann sagte Leubold: «Ich denke, das ist eindeutig. Momme war noch jung, soweit man das wissen kann, auch gesund, und wie er dalag – wir sind sicher, er ist an einem Gift gestorben. Es ist unfassbar, der Junge war doch ein harmloser Mensch, ein bisschen eitel vielleicht, aber nicht mal streitsüchtig. Er wich Streit eher aus, er war nicht der Mutigste. Andererseits auch kein Verschwender und Schuldenmacher. Ab und zu ging er auf einen Krug Bier zu Jakobsen in den Bremer Schlüssel , Ihr kennt das Gasthaus in der Fuhlentwiete vielleicht? Das ist keine Spelunke, in der sich Gesindel herumtreibt, sondern ein recht ordentliches Gasthaus. Da hat er hin und wieder Karten gespielt, und bevor ihr fragt: nicht um Geld. Das hätte der Wirt nicht zugelassen.»
    Beinahe hätte Wagner gegrinst. Aber dazu war die Angelegenheit zu ernst.
    «Wer konnte so was nur tun?», murmelte Leubold.
    «Das wollte ich just Euch fragen.» Wagner blickte von einem zum anderen, sah in eine ratlos betrübte und eine neugierige Miene. «Ich höre aus Euren Worten, dass Ihr glaubt, jemand hat ihn vergiftet. Dass er es nicht selbst getan hat.»
    «Auf keinen Fall!» Leubold schüttelte energisch den Kopf, nur um ihn gleich mit schmerzverzogenem Gesicht mit beiden Händen festzuhalten, als könne er ihm vom Hals fallen. «Dazu gab es überhaupt keinen Grund. Er war vergnügt, voller Zuversicht für die Zukunft. Nein, da hat ihm jemand etwas eingeflößt. Aber warum?»
    «Und wie. Das hier ist eine Apotheke», donnerte Wagner plötzlich, «hier gibt es etliche Gifte. Verschiedenster Art, und manche sind tödlich. Oder etwa nicht?»
    «Natürlich, allen voran

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