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Die Nacht des Schierlings

Die Nacht des Schierlings

Titel: Die Nacht des Schierlings Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Petra Oelker
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das Arsenik!» Nun wurde auch Leubold lauter, er begriff, dass er hier als Erster im Verdacht stand, eine Idee, die nahelag, sogar am allernächsten, auf die er aber bisher nicht gekommen war, was auch an seinem sich erst allmählich klärenden Kopf liegen mochte.
    «Arsenik ist hochgiftig und doch überaus gebräuchlich», erklärte er, wieder ruhiger, «sogar auf leichtfertige Weise, wegen der zahllosen Ratten. Mit Harz oder Leim vermischt, auch auf Fliegenpapier. Ihr kennt das alles. Ich möchte nicht wissen, wie viele Menschen, Kinder auch, versehentlich daran sterben. Die Leute schreien nach einem gegen alle Gifte wirkenden Mittel und machen Scharlatane und Quacksalber damit reich. Sie sollten besser darauf achten, giftige Pulver und Dämpfe zumindest dort zu vermeiden, wo es möglich ist. Ja, es ist gefährlich, mancher Pfuscher mischt es in seine Arzneien und verspricht Wunder, ewige Jugend, schöne Haut, weiße Zähne – das ist höchst schädlicher Humbug und kommt bei mir nicht vor, niemals. Nebenbei, Weddemeister, wer am Arsenik stirbt, hat blaue Ringe um Mund und Augen, und so etwas war bei Momme nicht zu sehen. Er war nur furchtbar bleich. Und er hatte erbrochen, was aber bei fast allem vorkommt, was der Magen nicht mag, selbst wenn es keine Gefahr für das Leben bedeutet. Leider erst dann, wenn es im Körper schon begonnen hat zu wirken.»
    Das mit den blauen Ringen hatte Leubold zwar nie selbst gesehen, aber er hatte es in den Schriften des großen alten Boerhaave gelesen, und somit galt es. Der berühmte Professor in Uetrecht hatte seinerzeit in diesem Stadium der Vergiftung noch zu täglich zwölf (!) Pfund lauwarmem Honigwasser geraten, drei Tage hintereinander, sofern der Patient noch atme, und wie gewöhnlich Klistiere. Diese Kur verhindere sonst zu erwartende lebenslange Beschwerden.
    «Wir verkaufen auch Arsenik, wir verwahren es in einem Giftschrank, und ich führe ein Giftbuch, wie es Vorschrift ist. Es hat aber bisher noch keiner kontrolliert. Sagt das ruhig Eurem Stadtphysikus im Eimbeck’schen Haus. Bei mir kann er jederzeit kontrollieren. Nein, Weddemeister, am Arsenik ist Momme nicht gestorben.»
    Er schwieg schwer atmend, auf seiner Stirn stand Schweiß, er spürte Wut, auf Momme, auf Wagner, auf die ganze vertrackte Situation. Auf sich selbst. Er wünschte sich weit weg. Hätte er geahnt, dass er entgegen aller Vorstellung dem Weddemeister in diesem Wunsch ähnlich war, hätte er sich vielleicht besser gefühlt. Alles war schon übel genug gewesen, nun auch noch ein Tod in seinem Haus, sogar ein Mord. Und er hatte Momme eben doch gern gehabt. Was sollte man da noch tun als aufgeben? Die Lust, sich wieder zu betrinken, war übergroß.
    «Und falls Ihr denkt, ich oder wir haben ihm etwas ins Abendessen gemischt, muss ich Euch enttäuschen, Weddemeister. Wir haben alle drei aus ein und demselben Topf gegessen, Reis mit Zwiebeln, Sellerie und Hühnerfleisch, dann gab es noch den Rest einer Pastete von – na ja, von allem Möglichen, was so in der Woche übrig geblieben war. Mit recht viel Kümmel und einer Prise Spanischem Pfeffer, so war es schmackhaft und bekömmlich. Es ist uns tatsächlich gut bekommen. Auch der Krug Bier, von dem wir alle getrunken haben. Kein Gift, wie Ihr an mir und meinem sehr lebendigen Oheim seht.»
    Wagner schnaufte, wie er es oft tat wenn er nicht recht weiterwusste oder sich von einer heftigen Rede wie überrollt fühlte, zog sein großes blaues Tuch aus der Tasche, wischte sich den Nacken und stopfte es umständlich wieder zurück. Schön und gut mit dem Essen aller aus einem Topf, behaupten konnte das jeder. Er glaubte es trotzdem, Apotheker würden eine Vergiftung zweifellos geschickter arrangieren. Oder nicht? Falls es eilig war – oder die Situation verzweifelt? Und sicher gab es auch dumme Apotheker. Oder verrückte?
    «Zurück zu den Karten», sagte er, «Karten, ja, im Bremer Schlüssel . Davon habe ich gehört. Ihr wisst, mit wem er Karten gespielt hat?»
    Leubolds Augen weiteten sich. «Meister Hofmann.» Sein Mund war plötzlich trocken, seine Stimme rau. «Der Konditor. Mamsell Runges Stiefvater. Meint Ihr den? Sie macht für mich Morsellen», erklärte er, «eine ganz reizende Person. Momme hat sie sehr gern gehabt. Wir alle, meine ich. Ihr Konfekt ist wunderbar, sie hat uns welches mitgebracht, als sie zuletzt hier war. Einige Stücke zur Probe. Meint Ihr etwa, Hofmann und Momme sind tot, weil sie zusammen Karten gespielt haben? Ich verstehe

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