Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Nacht des Schierlings

Die Nacht des Schierlings

Titel: Die Nacht des Schierlings Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Petra Oelker
Vom Netzwerk:
tödlichen Mixturen andererseits sehr schmal war und oft genug als nicht erkennbar in die falsche Richtung überschritten wurde. Wie schon der alte Theophrastus Bombast von Hohenheim vor mehr als zweihundert Jahren gesagt hatte: Allein die Dosis macht’s, ob etwas giftig ist.
    Wagner war kein Arzt, aber er hatte im Laufe der Jahre viele Tote gesehen und die Ursache ihres Sterbens untersucht. Bei Zweifel an einem natürlichen Tod geschah die Untersuchung des Leichnams durch den Wundarzt des Stadtphysikus, dessen Beobachtungen und Befunde Hinweise auf Tat und Täter geben sollten. Auch bei jungen Menschen gab es versteckte Krankheiten, die einen vermeintlich Gesunden plötzlich und unvermutet sterben ließen. Der Körper war eben ein kompliziertes, nicht allein dem menschlichen Willen unterworfenes Wunderwerk. Gleichwohl, was Wagner hier sah, legte nur eins nahe: Momme Drifting war an Gift gestorben.
    Blieb die Frage: Hatte er es, seines Lebens überdrüssig, freiwillig geschluckt, oder hatte es ihm jemand listig und heimlich verabreicht? Gewaltvoll kaum, an dem Toten entdeckte er nichts, was auf Gewalt oder Gegenwehr schließen ließ. Vielleicht ergab die gründlichere Untersuchung im Eimbeck’schen Haus – diesmal würde er darauf bestehen! – mehr, aber das glaubte er nicht. Es konnte ein Unglücksfall gewesen sein, durch verdorbenes Fleisch zum Beispiel, oder durch Pilze. Wie Monsieur Herrmanns zum Tod Bruno Hofmanns zu bedenken gegeben hatte. Oder durch die falsche Dosierung einer Arznei? Eines anregenden Mittels?
    Er spürte den fragenden Blick des alten Reuther und wandte sich ihm zu. «Hat er so gelegen, als Ihr ihn gefunden habt?»
    «Genau so. Wir haben nur an seinem Atem und seinem Pulsschlag geprüft, ob nicht doch noch ein Fünkchen Leben in ihm ist, wir hätten dann sofort versucht, ihn ganz ins Leben zurückzuholen, aber leider. Mausetot.»
    «Ja, das sagtet Ihr schon. Wann habt Ihr ihn zuletzt gesehen?»
    «Gestern beim Abendessen, es war noch recht früh, so gegen sieben. Ich habe nicht darauf geachtet, aber mein Neffe sagt, Momme sei gleich danach hier heraufgegangen und sicher auch hiergeblieben. Es war ja Sonntagabend und grässliches Wetter.»
    «Und heute Morgen habt Ihr ihn gefunden?»
    «Mein Neffe und ich, ja, wir beide. Mein Neffe war heute selbst spät dran und Momme noch später? Das kam uns kurios vor. Mein Neffe wollte nachsehen, ob er womöglich krank ist, als Apotheker denkt man immer so was. Sonst wollte er ihm Beine machen, am hellen Tag schlafen, das geht nicht.»
    Das fand Wagner auch. «Ihr habt also nicht den Physikus gerufen?»
    «Wozu? Momme half kein Physikus mehr. Mein armer Neffe ist zu erschüttert, Ihr habt ihn unten gesehen, so habe ich die Entscheidungen getroffen. Ich dachte, der Mann, der nun gebraucht wird, seid Ihr, Weddemeister. Ich bin in diesen Angelegenheiten natürlich völlig unwissend, wenn Ihr mir gestattet, trotzdem zu urteilen: Etwas ist hier suspekt. Der arme Junge sieht nicht aus, als sei er mit sich und seinem Schicksal zufrieden von uns gegangen. Ja, von uns und aus dieser schönen Welt. Dabei lebte er so gern.»
    «Ihr meint, er neigte nicht zur Melancholie? Zu übergroßer Empfindsamkeit, wie es gerade bei jungen Männern neuerdings in Mode ist?» Wagner klang streng, was die Gedanken seines Gegenübers in keiner Weise beeinträchtigte.
    «Genau der richtige Gedanke, Weddemeister, gerade das tat er nämlich keineswegs. Momme hatte viele Qualitäten und etliche Fehler, wie Ihr und ich und jedermann. Aber melancholisch war er nie, und von großer Empfindsamkeit kann auch keine Rede sein. Er war kein grober Klotz, das gewiss nicht, ein Apotheker braucht feine Sinne, aber die hat der eine mehr, der andere weniger. Momme war nur ein schlichter junger Mensch, der sein Glück in der Welt machen wollte. Übrigens hoffte er gerade und, wie er sagte, mit gutem Grund, auf eine überaus günstige Heirat, auch deshalb war er dieser Tage kein melancholischer, sondern ein ausnehmend froher Mann.»
    «Hat er womöglich etwas, nun ja, Unbekömmliches gegessen?» Wagners Frage klang nur der Pflicht geschuldet, und das war sie auch. Er dachte längst an etwas anderes und hörte kaum hin, als Friedrich Reuther, entschieden den Kopf schüttelnd, sagte: «Sicher nicht. Wir haben alle das Gleiche gegessen. Es war nicht seine Art, Geld für Mahlzeiten zu verschwenden, die er an unserem Tisch umsonst bekam. Ich will Euch etwas nicht verhehlen, Weddemeister.» Er tippte an

Weitere Kostenlose Bücher