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Die Nacht des Schierlings

Die Nacht des Schierlings

Titel: Die Nacht des Schierlings Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Petra Oelker
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nicht …»
    «Habt Ihr auch mitgespielt? Wenigstens manchmal?»
    Leubold schüttelt den Kopf «Ich mache mir wenig aus Karten, ich bin ein schlechter Verlierer, und ich verliere meistens.»
    Wagner wusste, dass er jetzt weiterfragen musste, nämlich, ob Momme erzählt hatte, wer noch mitgespielt hatte. Wenigstens manchmal. Aber das wollte er nicht fragen. Jakobsen würde es ohnedies wissen. Gut möglich, dass Jakobsen als ein Freund der Komödianten nicht alles sagte, mal wieder einen vergesslichen Tag hatte, wie er es dann feixend nannte. Heute wäre das Wagner nur recht. Er wusste schon, wer noch mitgespielt hatte. Und er wusste auch, dass sich das spätestens eine halbe Stunde nach der Nachricht von Momme Driftings Tod in der Stadt ausbreiten würde wie die Influenza in einem nassen Winter. Die Münze aus Gotha hatte Spielschulden beglichen. Fragte sich nur wann. Aber vielleicht irrte er sich. Vielleicht hatte Muto sich wirklich nur mit Hofmann angelegt, weil seine leichtfertige Tanzmamsell dem Konditor schöne Augen gemacht hatte, und damit war die Sache erledigt gewesen. Wenn aber …

    Giftiger Wasserschierling (Cicuta virosa)
    «Schierling!», rief Friedrich Reuther plötzlich und klang nach dem Glück der Erkenntnis. «Genau! Das ist es: Schierling. Am besten der Gefleckte oder sein Bruder, der Wasserschierling. Falls es Euch unbekannt ist, Weddemeister, beide sind verdammt giftiges Zeug, kommt gleich nach Arsenik.» Er stach triumphierend mit dem Zeigefinger in die Luft, «Der wächst überall, am liebsten, wo Wasser ist, vielleicht nicht gerade an den Fleeten mit den Vorsetzen, aber an hübsch grünen Ufern, auf feuchten Wiesen, man muss nur ein bisschen suchen und sich auskennen. Tut mit diesen alltäglichen Sachen fast jeder, oder? Leider nicht genug, natürlich, es gibt alle Jahre Tote oder Schwerkranke. Oft trifft es Kinder, die wissen noch nicht viel und essen ja alles, wenn es hübsch aussieht oder wenn sie sehr hungrig sind. Ich habe mal erlebt, wie ein bis dahin kräftiger Mann wochenlang daran gestorben ist. Interessant so was, aber gar nicht schön. Das versteht sich. Wenn er auch hübsch in der Blüte ist, große weiße Blütendolden, wirklich hübsch. Aber übles Teufelskraut, giftig von oben bis unten, Kraut, Samen, Wurzel, vor allem die Fruchtstände, die Samen, die sehen fast aus wie Fenchel oder Anis. Und die Wurzelknollen, die gleichen den Pastinaken, sind im Frühjahr und Herbst am tückischten. Soll übrigens scheußlich schmecken, der Schierling, hab’s natürlich nie probiert. Du auch nicht, was, Gerrit? Obwohl – eine kleine Dosis ist zuweilen hilfreich gegen die Gicht, enorm widerwärtiges Leiden, die Gicht.»
    «Schierling», murmelte Leubold langsam, «ja, sicher, das ist möglich. Aber – nein, eher unwahrscheinlich. Überlegen Sie doch mal, Onkel, da braucht man viel mehr als vom Arsenik, viel mehr, und selbst wenn der Magen das Gift oder die Speise, in der es steckt, nicht wieder ausleert, brennt es im Mund. Nun gut, mal mehr, mal weniger. Dennoch – der Tod kommt langsam, wobei es natürlich auch in dieser Hinsicht auf die Dosis ankommt.» Er sah Wagner an und schüttelte den Kopf. «Ich kann es mir nicht vorstellen. Es beginnt mit der Lähmung der Füße, dann der Beine und kriecht Zoll um Zoll den Körper hinauf, bis auch die Atmung erlahmt, der Herzschlag. Was ich sagen will: Man spürt es, und ein Apothekergeselle wie Momme weiß, was gerade geschieht. Da hätte er doch um Hilfe gerufen wäre in Rage geraten, in Verzweiflung – was auch immer. Er hätte sich doch nicht einfach ins Bett gelegt und den Tod kommen lassen. Wieso hat er nicht gerufen, getobt, geschrien? Ich war im Zimmer unter seinem, ich war betrunken, sicher, und ich habe geschlafen, aber das hätte ich gehört. Oder einer seiner Nachbarn. Wenn einer in Todesangst …» Die Vorstellung ließ ihn aufstöhnen, dann fuhr er mit gequälter Stimme fort: «Vielleicht hat er doch um Hilfe gerufen, und ich habe es in meinem blödsinnigen Suff nur nicht gehört.»
    «Unsinn, Gerrit», widersprach Reuther entschieden, «das ist Unsinn. Dann hätte ich es in meiner Kammer auch gehört, die ist ein bisschen abseits, aber nicht weit, in diesem engen Gemäuer, ja, gar nicht weit. Hilferufe in der Nacht, die hört man. Nein, es war anders. Ist doch klar, es war Laudanum!» Wieder fuhr der triumphierende Finger aufwärts. «Denn du hast völlig recht, Gerrit, da muss noch was gewesen sein. Kluger Junge, wusste es

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