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Die Nacht des Schierlings

Die Nacht des Schierlings

Titel: Die Nacht des Schierlings Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Petra Oelker
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ihr, niemals – niemals! – mit einer ganz ähnlich aussehenden verwechseln, mit dem Schierling, sowohl dem gefleckten wie dem Wasserschierling, beide seien sehr giftig. Es gebe kaum ein giftigeres Kraut.
    Rosina stützte das Kinn in die Hand und ließ den Blick zum Fenster wandern, ohne etwas zu sehen, wie meistens, wenn sie nach einer Erinnerung suchte. Momme Drifting war an Gift gestorben, niemand wusste wirklich genau an welchem, bei ihm und in seiner Kammer war keines gefunden worden, aber Wagner hatte Schierling erwähnt. Undeutlich nur, als Vermutung, er vermied es stets, Angaben zu machen, wenn er nicht sicher wusste, ob sie stimmten.
    Schierling – irgendetwas war da in ihrem Hinterkopf. Schierling. Sehr giftig. Einerseits. Aber wie die meisten giftigen Substanzen und Gewächse, ob Arsenik oder das Kraut der Maiblumen oder der schöne Rote Fingerhut, konnte auch er heilend wirken oder Beschwerden lindern. Der Fingerhut half dem schwachen Herzen, nur war wie bei allen Pflanzenmitteln die richtige Dosis schwer zu finden, war sie zu hoch, konnte sie töten. Allerdings war er so grauenvoll bitter, dass der Körper ihn dann wieder ausspie.
    Doch einmal war sie dabei gewesen, als er dennoch tötete. Eine große Menge Honig hatte bewirkt, dass er im Magen blieb und seinen unheilvollen Zweck erreichte.
    Das Türglöckchen – auch das war eine Neuerung – holte sie aus der Nähe der düsteren Gedanken. Seit sie am Stehpult im Magazin die Listen erneuerte, hatte es schon zwei oder dreimal angeschlagen, dann hatte sie durch die offenstehende Tür zur Offizin Leubolds und die Stimme eines Käufers oder einer Käuferin gehört und nicht weiter darauf geachtet. Nun erkannte sie Molly Runges Stimme und sah auf.
    «Ich möchte mich entschuldigen», platzte Molly gleich heraus, und Rosina spitzte die Ohren. Neugier mochte eine unfeine Krankheit sein, manchmal jedoch eine sehr hilfreiche. «Es tut mir schrecklich leid, dass Ludwig Euch für einen, ja, wie soll ich sagen, für einen bösen Menschen gehalten hat. Er kennt mich, seit ich Zöpfe hatte, nur meine Mutter und Elwa kennen mich länger, Elwa ist unsere Hausmagd. Ihr habt sie gewiss schon gesehen. Sie denken, ich bin noch ein Kind, und weil so viel Schreckliches geschehen ist in den letzen Tagen, waren meine Mutter und Ludwig besorgt. Und nun Ihr auch? Das war freundlich von Euch.»
    «Nein, Jungfer Runge, das war dumm. Das heißt, ich habe es dumm angestellt. Allerdings kaum dümmer, als es von Euch war, anstatt durch die hellere und breitere Neue Wallstraße zu gehen, allein in der Dunkelheit diesen Weg zu nehmen, auch wenn Ihr ihn zuvor noch so oft gegangen seid. Aber ich hätte mich viel eher zu erkennen geben müssen. Viel eher.»
    «So seid Ihr mir den ganzen Weg gefolgt? Immer mit einem Dutzend Schritte Abstand? Warum? Ich habe etwas gehört und war beunruhigt, dann dachte ich, es ist der Wind oder die Einbildung. Ich habe eine sehr heftige Einbildungskraft, müsst Ihr wissen, meine Mutter hat das oft getadelt. Aber eigentlich», sie klang wieder ruhiger und zufrieden, «eigentlich habe ich das gern. Es vertreibt die Zeit bei eintönigem Kneten und Schneiden und Mörsern in der Backstube.»
    «Wie hier im Magazin oder im Laboratorium.» Leubold klang plötzlich auch ziemlich fröhlich. «Verzeiht Ihr mir meine Dummheit, Jungfer Molly? Ich sah Euch aus dem Alsterschwan kommen, den Platz entlanglaufen und in die Gasse einbiegen. Es war schon so gut wie dunkel, ich dachte – ich weiß nicht mal genau, was ich dachte, ich bin einfach losgelaufen. Mein Oheim war in der Offizin, ich war entbehrlich. Zuerst musste ich Euch einholen, dann dachte ich, es steht mir nicht zu, Euch heimzubegleiten, es könnte Euch kompromittieren. Ein armer alter Schlucker wie ich. Als ich dann doch Euren Namen rief, seid Ihr vor Schreck nur gerannt, und dann – ich weiß gar nicht, was dann passiert ist. Plötzlich war da», er lachte, wenn auch etwas mühsam, «ein Bär, dachte ich. Aber es war Euer Geselle. Ludwig, Euer Retter. Nun hat er die Meriten.»
    «Ich hatte mich in den alten Garten der Ratsapotheke geflüchtet», kicherte Molly, «und in das nasse Laub geduckt, es war schon ziemlich verrottet, aber dann habe ich zum Glück Ludwigs Stimme erkannt. Ist es sehr schlimm?» Behutsam ließ sie einen Finger über sein geschwollenes Auge gleiten. «Es wird Euch noch eine ganze Weile an mich erinnern, fürchte ich.»
    Er murmelte etwas, das Rosina nicht verstehen konnte, was sie

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