Die Nacht des Schierlings
ein bisschen eingerostet, aber falls Ihr Schriftliches zu erledigen habt, Listen ins Reine zu schreiben, solche Dinge eben, dann kann ich helfen. Bei Matti wartet übrigens ein Korb mit getrockneten Beinwellwurzeln und den seltenen Kreuzdornbeeren. Ich möchte heute ohnedies nach den beiden sehen; wenn es Euch recht ist, bringe ich ihn auf dem Rückweg mit.» Und als er sie immer noch nur stumm anstarrte, schloss sie sanft: «Wenn Ihr aber dieser Tage niemand Fremdes in Eurem Haus haben mögt – auch gut. Dann sagt es nur. Matti wollte Euch Hilfe schicken, keine Last.»
«Aber nein! Überhaupt nicht. Ich meine, Ihr seid keine Last. Ich bin nur nicht daran gewöhnt, dass mir so unvermutet das Glück in den Schoß fällt. Wenn Ihr nämlich meine Magazinlisten neu schreiben könntet, wäre das ein großes Glück. Die alten sind voller Korrekturen, Streichungen, Ergänzungen, überhaupt in meiner oft eiligen Schrift schwer lesbar. Das ist keine gute Ordnung. Momme konnte es natürlich auch lesen, einiges ist sogar von seiner Hand. Aber nun», er schluckte und strich mit der Hand über ein paar Krümel auf dem Tisch, «nach seinem Tod wird jemand anders kommen, also muss alles leserlich sein. Von Zeit zu Zeit sollte die Bestandsliste ohnedies erneuert werden. Ihr müsstet nur fragen, wenn Ihr etwas nicht ganz genau entziffern könnt. Ich werde immer in der Nähe sein, zumeist in der Offizin. Hier fertige ich auch die Rezepturen an, was man alltäglich braucht und nach den Rezepten der Ärzte gewünscht wird, die Composita , schon vorbereitete Mischungen aus den einzelnen Simplicia , stehen hier in diesen Behältnissen bereit. Wenn es davon größerer Vorräte bedarf, lagern die im Magazin.» Dann fügte er noch hinzu: «Es ist mir lieber, wenn jedermann zusehen kann, was ich zubereite. Dies ist eine Apotheke, keine Zauberküche.»
Das Stehpult hatte seinen Platz im Magazin gleich neben der Tür zur Offizin, das Tintenglas war gefüllt, eine neue Feder fand sich im Federkasten in der oberen Schublade. Rosina gewöhnte sich rasch an die eigenwillige Handschrift Leubolds, auch an die etwas kindlicher anmutenden runden Buchstaben, die von Momme Drifting stammen mussten. Diese Inventarlisten, Leubold führte hinter den lateinischen auch die deutschen und einige der volkstümlichen Namen auf, bedurften wirklich dringend der Erneuerung.
Die Arbeit wäre eintönig gewesen, wären nicht etliche der Pflanzennamen – bei den mineralischen, tierischen und womöglich menschlichen Materialien war sie noch nicht angekommen – so klingend. Die geläufigsten waren ihr vertraut, einige mehr von der Hilfe in Mattis Garten und deren eigenem Vorrat. Flores lavendulae zum Beispiel, das war kein Kunststück, Flores sambuci für Holunderblüten, Flores calendulae für die Ringelblume, Flores chamomillae für die Kamille, Herba echinaceae für das Kraut des Sonnenhuts, Folia und Flores malvae standen für die Blätter und Blüten der Malve, Radix valerianae für die Baldrianwurzel oder Fructus cardamomi für Kardamom, das leckere Gewürz aus dem Süden Ostindiens, mit dem manch unappetitliche Arznei schmackhafter wurde, aber auch Kaffee, Pasteten und Kuchen, sogar manches Fleischgericht.
Andere gefielen ihr besonders gut, zum Beispiel Flores und Folia farfarae für die Huflattichblüten und -blätter, das klang nach Fanfare und passte gut zu diesen leuchtend gelben Blüten, die kleinen Sonnen gleich zu den vorwitzigsten der Allerersten in der Frühlingssonne gehörten. Auf ihren langen Fahrten und Wanderungen mit dem Komödiantenkarren hatten sie ihr Frühjahr um Frühjahr als Glücksboten und Verkörperung der Zuversicht von den Rändern der Wege und Bäche entgegengeleuchtet.
Unbekannt waren ihr Herba und Fructus , auf einem anderen Blatt auch Radix dauci carothae , Blütendolden, Frucht oder Samen und Wurzel der Wilden Möhre. Sie kannte aber den deutschen Namen und das hübsche weißblühende Kraut, es wuchs im Sommer überall. Mattis alte Freundin Lies, die sich, anders als die für eine Hebamme ungewöhnlich gebildete Matti, fast nur mit dem auskannte, was sich am Wegesrand fand und für Gotteslohn zu haben war, dafür heimlich (und zu Mattis nie ermüdendem Ärger) auch allerlei Zauberkram wusste, hatte sie Vogelnestchen genannt. Das sei ein gutes Gewächs gegen die Wassersucht, fördere auch den Appetit, das frische Kraut, zerrieben und mit Honig vermischt, helfe Wunden zu heilen. Nur dürfe man die Pflanze, egal welchen Teil von
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