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Die Nacht des Schierlings

Die Nacht des Schierlings

Titel: Die Nacht des Schierlings Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Petra Oelker
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sehr bedauerte.
    «Es hilft sicher nicht so gut wie Eure Arzneien. Aber vielleicht ist das», Molly hielt ein hübsch verpacktes Spanschächtelchen hoch, «ein kleiner Trost. Meine Mutter schickt zum Dank eine Schachtel Konfekt.»
    Tatsächlich hatte Molly das Konfekt nur vom Vorrat Magda Hofmanns genommen, weil es dort das Beste gab, das Delikateste nach den neuen Rezepten. Sie war noch nie eine gute Lügnerin gewesen und errötete an dieser Stelle, was ihr sehr gut stand, Leubold aber entging, weil er sich über ihre Gabe beugte. Nur Rosina sah es, als sie neugierig um die Ecke blickte, dabei stieß sie das Federmesser zu Boden, Molly blickte erschreckt auf – und errötete noch mehr.
    «Madam Vinstedt», stotterte sie, «was macht Ihr hier? Und im Magazin?» Ihr Blick ging von Rosina zu Leubold und zurück, und Rosina fragte sich, was die arme Jungfer so verwirren oder peinlich berühren mochte.
    «Ich helfe nur ein bisschen aus», erklärte sie, «sonst nichts.»
    Wer mehr bedauerte, Leubold oder Molly, dass der Apotheker just in diesem Moment von der ungemein hektisch klingenden Stimme des alten Reuther in sein Laboratorium gerufen wurde, war schwer zu entscheiden, beide verbargen es nur halbwegs erfolgreich. Jedenfalls machte Molly keine Anstalten, gleich wieder zu gehen, sondern gesellte sich zu Rosina ins Magazin. Sie sah sich um, schnupperte an den getrockneten Büscheln von Pflanzen und Kräutern, die noch in mehreren Etagen in einem luftigen Gestell hingen, betrachtete, das wollene Schultertuch fest vor der Brust verknotet, die Hände vorsichtig auf dem Rücken verschränkt, die Behältnisse unterschiedlicher Größe, die in hölzernen Gestellen und Schränken bis unter die Decke aufgereiht waren, die meisten waren mit lateinischen Namen beschriftet. Es gab auch einige Fässchen für Flüssigkeiten, von denen der größere Teil allerdings im Laboratorium im Souterrain lagerte.
    «Ich bin froh, Euch zu treffen», begann Rosina endlich behutsam. «Wir kennen uns nur wenig vom Frühsommer, aber ich möchte Euch sagen, dass ich nichts auf den kursierenden Klatsch gebe.» Molly betrachtete weiter unverwandt ein Glas, in dem zwei tote, ziemlich giftig und unappetitlich aussehende Schlangen eingelegt waren. «Ihr werdet inzwischen auch wissen, dass einer meiner Freunde in den Kerker gebracht worden ist, weil er angeblich Euren Stiefvater und Momme Drifting getötet hat. Glaubt mir, er war es nicht. Ich bin sicher, der Weddemeister wird den Richtigen bald finden.»
    Endlich drehte Molly sich um, ihre Augen brannten, ihr ganzes Gesicht war Kummer. «Denkt Ihr, es liegt an mir?», flüsterte sie.
    «An Euch?» Rosina hätte gerne vehement verneint, das konnte sie nicht. «Ihr denkt, weil Ihr beide gut gekannt habt? Nun gut, lasst es mich anders sagen: weil beide, jeder auf seine Weise, eine besondere Vorliebe für Euch hatten. Daran habe ich auch schon gedacht. Trotzdem, Jungfer Molly, selbst wenn es so ist, hat das nichts mit Euch zu tun. Dann läuft jemand mit einem verwirrten Geist in der Stadt herum, einer der meint, Menschen besitzen zu können, ein Größenwahnsinniger, was sonst? Jetzt geht es nur darum, noch mehr Unglück zu verhindern. Leider weiß ich im Moment nicht wie, ich wünschte, ich könnte anderes sagen, aber ich halte nichts von Schönfärberei. Nach dem, was ich gerade gehört habe, kann ich nur vermuten, was gestern Abend im dunklen Apothekengarten passiert ist, solche Leichtsinnigkeiten solltet Ihr Euch in der nächsten Zeit auf jeden Fall verkneifen.»
    Molly nickte, sie ließ sich auf den Hocker neben dem Schreibpult sinken und seufzte, erstaunlicherweise klang es erleichtert.
    «Ach, es tut gut, mit Euch zu reden», sagte sie noch einmal aufseufzend, «schon Euch zuzuhören macht mir Mut. In diesen Tagen kann ich mit niemandem vernünftig reden. Alle sind so seltsam, und alle tun so, als müsse ich beschützt werden oder dürfe nichts hören, was mich ängstigen könnte. Wie früher, als ich ein Kind war. Das ist doch dumm. Am meisten Furcht macht, was man nicht weiß. Das ist ein alter Hut.»
    «Ein sehr alter Hut. Lasst Euch nur nicht entmutigen», Rosina lächelte auf Molly hinunter, in diesem Moment erschien sie auch ihr wie ein Kind, «oft kann man sich nur selbst helfen. Besonders aus trüben Stimmungen heraus. Zumindest kann man versuchen, sich aus dem Sumpf der Melancholie und Verzagtheit zu ziehen.»
    «Das klingt gut. Ich habe Bruno Hofmann wirklich nicht gemocht, aber sein Tod

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