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Die Nacht des Schierlings

Die Nacht des Schierlings

Titel: Die Nacht des Schierlings Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Petra Oelker
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gegen stets befürchtete Giftanschläge immun zu sein. Es war noch gar nicht so lange her, dass das hochmögende Compositum nur von einem vereidigten Apotheker und vor den Augen der jeweiligen Ratsherren und der akademischen Stadtärzte mit etlichen geheimnisvollen Ritualen hergestellt werden musste.
    Dass Friedrich seines gerade heute fertiggestellt hatte, jedenfalls fast, wenn er ihn richtig verstand, musste kein Zufall sein. Allerdings behielt er diesen Gedanken für sich, Friedrich würde ihn nur zu gerne aufgreifen und ihm einen Vortrag über die Magie der Bestimmung, über Sterne und Sternbilder, den Stand von Mars zu Venus und Sonne und Mond halten. Leubold waren diese Zusammenhänge natürlich nicht fremd, auch war er gewöhnlich bereit, sie zumindest zu bedenken, aber nicht heute und in diesen verwirrenden Tagen.
    «Aha», Friedrich Reuther stand wieder neben ihm, in den Augen hinter den wie stets schmutzigen Brillengläsern kindlicher Eifer, «aha, du hast die Liste entdeckt. Nun ja, du wirst wohl manches», er räusperte sich vernehmlich, «ja, manche der in meinem Theriak enthaltenen Kostbarkeiten der Natur wirst du nicht mögen. Aber glaub mir, Gerrit, alles ist wissenschaftlich belegt, jahrhundertealtes Wissen nämlich nach dem berühmten venezianischen Rezept, das wiederum eine bedeutende Erweiterung des noch von den Ägyptern überkommenen ist, den Heilkundigen der Pharaonen.»
    «Ich gebe zu, ich bin froh, weil nicht alles direkt von den alten Ägyptern übernommen ist. Angelikawurzel, spanischer Wein, Baldrian, Zimtrinde, Kardamom, Myrrhe, Eisenvitriol», las Leubold vor, «Anissamen, Rosmarin, Quendel, Spitzwegerich, Wacholderbeeren, Kampfer, von der giftigen Osterluzeywurzel zum Glück nur ein Gran, ebenso von der Diptam-Wurzelrinde. Weiter arabische Senna-Blätter – du meine Güte, eine lange Liste. Ich weiß, dass die Rezepte in alter Zeit bis zu dreihundert Ingredienzien aufführten, heute noch manche bis zu siebzig, aber wir wissen auch, was für ein Unsinn das ist und dass viele der Zutaten sich in ihrer Wirkung gegenseitig aufheben.»
    «Genau, mein Junge, ganz genau. Das kann hier nicht passieren. Es sind nur etwa zwanzig, na, vielleicht ein paar mehr. Oder weniger? Egal. Auf die edle Königskerze musste ich leider verzichten, nur mal zum Beispiel. Die war nicht zu bekommen, seltsam, wächst hier doch auch häufig. Dafür habe ich ein paar Tropfen Opiumtinktur genommen, ist immer gut und nützlich. Solange die Pest nicht zurückkehrt, ist mein Rezept perfekt. Gegen den Schwarzen Tod wären natürlich mehr Zutaten nötig, seltenere, wie ein wenig Menschenfett und zerriebene Hirnschale von einem Gehenkten – es mag seltsam sein, aber die Menschen mögen nun mal zu gern hier und da ein Fetzchen von den armen Teufeln. Dann noch eine Prise vom Horn eines Einhorns, im Zweifel tut es auch etwas vom Horn des Narwals, das mag leichter zu bekommen sein, ja, Goldstaub und unbedingt Mandragora. Um nur einige zu nennen.»
    Er griff nach einem Hornlöffel, mehr wie ein Spatel geformt und abgenutzt, und klopfte leicht auf den etwa kinderfaustgroßen Klumpen, der, von Honig und Rosenwasser zusammengehalten, all die feinpulverisierten Zutaten der Liste enthielt, einige auch in Form des Destillats, und prüfte die Konsistenz, die der einer zäh und halbfest gewordenen feinen Grütze ähnelte.
    «Sie wollten mich nach einem noch fehlenden Mittel fragen, Onkel, ob ich es in meinen Vorräten habe. Welches brauchen Sie noch?»
    «Spanische Fliege», sagte Friedrich Reuther, «eine Prise zu Pulver verriebene Spanische Fliege. Hattest du nicht neulich noch ein paar der Tierchen? Ich glaube, in der kleinen Dose aus blauem Glas von Murano?»
    An anderen Tagen hätte Leubold sich amüsiert, heute erschreckte und verstimmte ihn die Frage nach den mörderischen Tierchen. «Sie kennen sich zwar gut in meinem Giftschrank aus, Onkel, aber ich muss Sie enttäuschen. So schwarz und grün schillernd ist der Käfer zwar hübsch, aber, wie Sie sehr wohl wissen, viel zu giftig. Mag sein, er stachelt pulverisiert die Begierden an und ist der Unermüdlichkeit in der Liebe dienlich, aber ich bestreite entschieden, dass er das Glücklichsein fördert. So mancher dumme Kerl, der sich seine Geliebte gefügig machen wollte, hat sie auf diese Weise umgebracht. Oft genug sich selbst gleich dazu, noch mit stolz geschwellter Männlichkeit. Nein, Onkel, keine Spanische Fliege in meiner Apotheke, und ich muss darauf bestehen: auch nicht

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