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Die Nacht des Schierlings

Die Nacht des Schierlings

Titel: Die Nacht des Schierlings Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Petra Oelker
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Arbeitstag und mitten in der Woche.
    Sie schnupperte diskret, es roch angenehm nach einer undefinierbaren Mischung von vielen Kräutern. Dazu nach etwas – Herberem? Einer bitteren Tinktur vielleicht? Aber konnte man Bitteres so einfach riechen? Sicher verbargen sich hinter einer nach hinten führenden, halb offenstehenden Tür Trockenraum oder Lager. Ihr Blick ging zur Decke, wo früher nur eine vom Alter geschwärzte Holzdecke gewesen war, strahlten Sonne und Mond auf leuchtendem Türkis, was ihr besser gefiel. Der ziemlich gerupft aussehende Adler, der früher unter der Decke gehangen hatte, war verschwunden. Vor fünf oder sechs Jahren, als sie für eine Saison am Großen Komödienhaus im Opernhof engagiert gewesen war, hatte sie hin und wieder in dieser Apotheke gekauft. Damals hatte sie noch Leubolds Vorgänger gehört, einem sonderlichen alten Mann, der seinen Pflichten nur dank seiner Gehilfen nachkommen konnte, die, anders als er, noch gute Augen und Nasen hatten. Er hatte gerne mit der Kundschaft geplaudert und die weit herumgekommenen Theaterleute geschätzt.
    Die Sache mit dem Adler hatte er ihr irgendwann erzählt. Natürlich hätte er lieber ein ausgestopftes Krokodil unter die Decke direkt über den Rezepturtisch gehängt, wie es in besseren Apotheken eigentlich sein musste, aber diese exotischen Untiere waren auch in totem Zustand rar und unglaublich teuer. Den Adler hatte er von einem dankbaren Käufer geschenkt bekommen, wahrscheinlich hatte dessen Gattin den alten toten Vogel loswerden wollen. Er glaube ohnedies nicht mehr so recht an Zauberei, hatte er kichernd hinzugefügt, wofür ein Reptil außer für Heuchelei ja heimlich stehe, besser gesagt: hänge. Ihm sei ein stolzer Vogel allemal lieber als ein aus schlammigem Gewässer hervorgekrochenes Getier mit grässlichem Gebiss.
    «Er ist weg», hörte Rosina die Stimme des jetzigen Apothekers und senkte den Blick. «Leider», erklärte er, «ich mag Adler. Aber dieser von der Zeit gerupfte alte Knabe fiel geradezu auseinander, als ich versuchte, ihn zu entstauben. Ich musste ihn den Weg alles Irdischen gehen lassen. Und», er wies hinauf, «so habe ich immer den freien Blick auf Mutter Sonne und Vater Mond. Womit kann ich Euch dienen, Madam? Ihr habt ein Rezept?»
    «Nein, Monsieur Leubold, ich bin völlig gesund. Ich heiße Rosina Vinstedt und bin eine Freundin von Madam Matti. Sie schickt mich, weil Ihr nach dem plötzlichen Tod Eures Gesellen ein wenig Unterstützung braucht. So denkt sie jedenfalls. Mir scheint allerdings, Ihr braucht eher einen Leibwächter.»
    Leubold tastete behutsam über sein linkes Jochbein, die Schramme an der Schläfe und noch behutsamer über das zwischen rotblauen Wülsten kaum mehr sichtbare blutunterlaufene Auge.
    «Ich danke Euch, Madam Vinstedt», er neigte den Kopf und legte die Hand auf sein Herz, «wirklich sehr verbunden. Andere werden mich für einen Schläger halten – seit einigen Tagen auch für Schlimmeres. Diesmal habe ich mich selbst als Leibwächter versucht und bin dabei einem andern selbsternannten Wächter in die Quere gekommen. So sieht es jedenfalls aus. Immer noch besser als andersherum. Wobei ich mir trotzdem nicht sicher bin – egal, das ist vorbei. Madam Matti schickt Euch also.»
    Rosina konnte seinen musternden Blick nicht deuten. Nach jahrelangem Tanzen, Singen und Spielen auf der Bühne war sie an neugierige Augen gewöhnt. Aber dort galten sie der Person in Kostüm und Maske, ohne deren Schutz fand sie aufmerksam auf sie gerichtete Augen unangenehm.
    «Pardon», Leubold schüttelte leicht den Kopf, sein Blick wurde wieder verbindlich, «dieser Tage gebärde ich mich wie ein Tölpel. Ich bin Madam Matti dankbar, Euch natürlich auch, ich weiß nur nicht recht – versteht mich bitte nicht falsch, aber Ihr könnt hier nicht alles tun, was zu tun ist. Momme war Apotheker wie ich, er hatte fünf Jahre gelernt, war geprüft und hatte noch einmal eine Reihe von Jahren Erfahrung.»
    «Natürlich kann ich ihn und sein Wissen nicht ersetzen, sei es nur für einen Tag. Aber ich kann meine Ärmel aufkrempeln und mit anfassen, wo es nötig ist. Matti meint, vielleicht in Eurem Magazin? Dort müssten jetzt noch eine Menge Samen aus ihren getrockneten Kapseln gepalt werden, manches auch gemörsert – ich bin Arbeit gewöhnt, Monsieur Leubold, und nicht zimperlich. Ich kann Dreck beseitigen, und ich habe neben ein bisschen Griechisch recht gründlich Latein gelernt. Das ist lange her, und es ist

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