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Die Nacht des Schierlings

Die Nacht des Schierlings

Titel: Die Nacht des Schierlings Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Petra Oelker
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im Wagen hatten es sich zwischen Kisten und Kasten, Vorräten, Hausrat, Gerätschaften aus Backstube und Laboratorium und den teuersten Vorräten aus dem Magazin Friedrich Reuther, Leubolds Oheim, und Elwa, Mollys Hausmagd, bequem gemacht. Während die beiden vorne auf dem Bock zumeist schwiegen, vertrieben sich die beiden Alten die Zeit mit beständiger Kabbelei. Sie hatten eine lange Reise vor sich, sie würden sich noch einig werden – worüber auch immer.
    Während der Wagen durchs Tor und dann durch die Vorstadt St. Georg auf den Weg zur Elbfähre beim Zollenspieker rollte, sahen etliche Passanten ihm nach, die meisten mit bedauernder Miene. Mit Hilfe des Großkaufmanns Bocholt war es Jungfer Runge gelungen, ihr Haus und die Backstube so rasch und zu einem halbwegs angemessenen Preis zu verkaufen, überhaupt ihren ganzen Besitz. Böse Zungen behaupteten, tatsächlich habe Claes Herrmanns sie dabei unterstützt, dessen Freund Bocholt fungiere nur als Strohmann, damit kein neuer Klatsch wuchere. Was vehement bestritten wurde, aber der Wahrheit entsprach.
    Es hieß auch, Jungfer Runge und der Apotheker seien seit zwei Tagen ein Ehepaar, was niemand wirklich glaubte, weil gut Ding Weile haben will und ohne Aufgebot und Wartezeit keine Hochzeit möglich ist, aber ein besonderer Obolus in den Gotteskasten macht manches möglich. Wie allgemein bekannt ist.
    Weiter hieß es, Jungfer Runge (oder tatsächlich Madam Leubold?) fahre nun bis zur Oberelbe hinter Dresden, sie habe dort Verwandtschaft. Das konnte aber nicht stimmen, niemand hatte je gehört, dass die Runges noch Familie hatten, dort oder sonst wo. Im Übrigen wollten Jungfer Runge und Apotheker Leubold doch von Hoek van Holland nach Plymouth übersetzen, um von England weiter in die Neue Welt zu reisen. Sowohl an versierten Apothekern wie an guten Konditorinnen herrsche in den amerikanischen Kolonien großer Mangel, dort warte trotz, vielleicht auch gerade wegen der gärenden Unruhe eine blühende Zukunft. Molly Runges Fortzug wurde allgemein bedauert, andererseits müsste sie hier mit dunklen Erinnerungen und trüben Aussichten leben – wer mochte in einer Konditorei einkaufen, wenn von dort zwei Morde begangen worden waren, zumindest einer mittels vergiftetem Konfekt.
    Wer Magda Hofmann gekannt hatte, konnte sich immer noch nicht vorstellen, wie diese bis dahin stets besonders brave Bürgerin und Ehefrau in der Lage gewesen sein sollte, zwei Männer so heimtückisch mit Schierling zu vergiften. Und dazu am Ende sich selbst.
    Ihren zweiten Ehemann, nun gut, das verstand man gerade noch, vor allem eine ganze Reihe von Frauen, von der Dienstmagd bis zur Bürgermeistergattin, denn Hofmann hatte Magda betrogen und alles darangesetzt, auch noch das Erbe seiner Stieftochter an sich zu bringen. Für die meisten mochte das kein Grund sein zu töten, aber die Menschen waren seltsam und unberechenbar – wer konnte schon wirklich in den Kopf oder das Herz eines anderen sehen?
    Auch den Mord an Momme Drifting hatte Magda Hofmann in dem direkt vor ihrem Tod geschriebenen Geständnis bekannt. Der Grund für diesen zweiten Mord blieb im Dunkeln, doch darüber dachte bald niemand mehr nach. Das Gerücht flackerte auf, Madam Hofmann habe tatsächlich die Schuld für ihre Tochter auf sich genommen, denn nur Jungfer Molly habe Grund gehabt, sich an beiden Männern zu rächen, weil sie ihr die Jungfernschaft gewaltsam genommen hatten, aber solcherart schmuddelige Gerüchte tauchten in solchen Fällen häufig auf und waren in diesem Fall zum Glück bald vergessen.
    Molly Runge hatte nach dem schrecklichen Tod ihrer Mutter ein schweres Fieber ereilt, man hatte mit dem Schlimmsten gerechnet, sicher verdankte sie ihre Rettung und rasche Genesung auch der ständigen Gegenwart und Fürsorge einer alten Hebamme vom Hamburger Berg.
    Schlimm sei für die Jungfer, dass ihr alter Geselle Ludwig, den sie seit nahezu zwei Jahrzehnten eher wie einen Onkel geschätzt hatte, nicht mit ihr reisen konnte. Ludwig hockte, in tiefe Melancholie versunken, im Werk- und Zuchthaus. Niemand hatte es zunächst glauben wollen, doch er hatte darauf beharrt, nicht Magda Runge – er sagte immer Runge, nie mehr Hofmann – habe den Hofmann getötet, sondern er. Er habe ihm in der Nacht bei der Brücke aufgelauert und den Kerl im Schlick erstickt. Viele hofften für ihn auf milde Richter. Vielleicht, das wurde von besonders Wohlwollenden, aber auch gut Informierten geflüstert, werde er in ein oder zwei

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