Die Nacht des Schierlings
diesem nur von leichtem Nebel getrübten Abend zu Fuß kamen. So oder so – es gab keinen Grund zu klagen, die meisten der zuvor im Bremer Schlüssel angebotenen Billetts waren verkauft, für die letzten an der Abendkasse hatte sich schon eine kleine Schlange vor dem Tor gebildet.
Dem angekündigten Kunstgenuss wurde mit freudiger Erwartung entgegengesehen, nicht zuletzt, weil die hier gebotene Kunst gewiss keine Langeweile aufkommen lassen würde, schließlich ging es um Gesang, um Tanz, hoffentlich auch um das eine oder andere hübsch frivole Couplet. Außerdem konnte man an diesem Abend den aus dem Kerker entlassenen Akrobaten bewundern, von dem es nun hieß, er sei ganz und gar unschuldig und überhaupt ein ehrenwerter Mann. Die Meinung teilten nicht alle.
Das Publikum des Abends war bunt gemischt und somit das Übliche. Lederhändler Lorenzen war mit seiner Gattin, Jakobsen, der Wirt, mit seiner Schwester Ruth gekommen, auch Servatius, der Knopfmacher. Die Wirtin und Schankmagd Elske aus dem Eschenkrug in der Vorstadt St. Georg wurde von Hillmer begleitet, dem Vorarbeiter auf dem Holzplatz. Monsieur und Madam Joyeux von der Fächer- und Kunstblumenmacherei am Vorsetzen waren sicher aus beruflichen Gründen hier, jedes Theater brauchte schließlich Kunstblumen und Fächer.
Dass der Weddemeister mit seiner jungen Frau da war, beide in bester Stimmung und einander sichtbar innig zugetan, wurde mit Staunen zur Kenntnis genommen, schließlich war sie guter Hoffnung, da blieb eine anständige Frau zu Hause. Andererseits wurden sie von Dr. Pullmann begleitet, dem Garnisonschirurg, was beruhigend wirkte.
Monsieur und Madam Herrmanns hatten reservierte Plätze auf der Empore über dem Entree, die besten (und teuersten), Madam Augusta war auch dabei, äußerst vergnügt, und Monsieur Christian, überhaupt nicht vergnügt. Es hieß, seine bevorstehende Verlobung stehe nun nicht mehr bevor, was zu den schönsten Gerüchten und Vermutungen Anlass gab, für die an diesem Abend aber kein Raum war. Dass Monsieur Bach und seine stets freundliche Gattin auch gekommen waren, wurde allgemein für einen Irrtum seitens Bachs gehalten, womit nur beider Humor und heiteres Gemüt unterschätzt wurden. Außerdem saßen sie bei den Herrmanns, wahrscheinlich waren sie eingeladen und hatten nicht ablehnen können. In der Nachbarempore hörte man, wie die Herren Herrmanns und Bach ausführlich über das gerade bekanntgegebene Preisausschreiben der Patriotischen Gesellschaft sprachen, wobei es um eine deutliche Verbesserung der Straßenbeleuchtung ging. Monsieur Herrmanns senior hatte den größten Teil des Preisgeldes beigesteuert, was Kantor Bach als höchst verdienstvoll lobte.
Claes Herrmanns war übrigens nicht in den Rat gewählt worden. Aus dem Rathaus war auf einem der üblichen indiskreten Wege bekannt geworden, er habe verzichtet und gedroht, die Wahl im Zweifelsfalle abzulehnen, was ein Eklat sondergleichen geworden wäre, denn es hätte ihn das Bürgerrecht gekostet. Dazu war er, waren die Herrmanns überhaupt in der Stadt zu bedeutend, zu wohlhabend, hatten sie zu wichtige, auch diplomatische Verbindungen bis nach Übersee. Madam Herrmanns sah an diesem Abend übrigens strahlend aus, was gewiss nicht nur an dem zweifellos neuen Brillantcollier um ihren Hals lag.
Endlich begann die Musik zu spielen, endlich wurde auch der Vorhang geöffnet – um es kurz zu machen: Der Abend wurde ein fabelhafter Erfolg. Man überließ dem Großen Komödienhaus im Opernhof beim Gänsemarkt gerne die mehraktigen Dramen und Komödien, auch einige Ballette und Singspiele, ohne die kein Publikum zu haben ist, aber die frechen, die frivolen, die burlesken Szenen mit Tanz und Gesang, ein wenig Pantomime, Hanswurstiade und Akrobatenkunst – das fand man nun im Kleinen Komödienhaus, dem neuen Vaudeville-Theater im Dragonerstall.
Der Applaus war vehement. Die Überraschung des Abends wurde allerdings nur von wenigen bemerkt. Die junge Aktrice, die auf dem Programmzettel als Mademoiselle Florinde angekündigt war, zeichnete sich durch besonders kunstvollen Gesang und an einigen Stellen geradezu übermütige musikalische Kapriolen aus, ihr Gesang war perfekt, auch vergaß sie nie den Text, nur der Tanz mit dem jungen Akteur nach der Pause hätte noch einiger Übung bedurft. Auch war ihre Schminke auffallend dick aufgetragen, den Grund dafür erkannte zumindest Anne Herrmanns sofort.
Das war nicht Florinde. Rosina, für die meisten längst
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