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Die Nacht des Schierlings

Die Nacht des Schierlings

Titel: Die Nacht des Schierlings Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Petra Oelker
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von ihm unter den Billetts, die während der letzten Tage abgegeben worden waren. Sie hatte noch keine Muße gefunden, alle zu lesen.
    Während Molly die klebrig gewordenen Hände in der dazu stets bereitstehenden Wasserschüssel abspülte, wanderte ihr Blick über den schmalen Hinterhof. Dort lag eine ganze Ladung Holz, das noch gesägt und für die kleinen Öfen gehackt werden musste. Es gab so viel zu tun, kostbare Tage waren verstrichen, aber alles hatte und brauchte seine Zeit. Mochte ihre Mutter nur weiter trauern, sie würde selbst dafür sorgen, dass alles weiterlief, wie es sein sollte. Jemand musste sich auch um die Bücher kümmern, das hatte Bruno Hofmann gemacht und keine Einmischung erlaubt. Nun war es an ihr, so lange, bis die Meisterin wieder die Aufgaben der Hausherrin übernehmen konnte. Und wenn es tatsächlich gut aussah, so gut wie zu Runges Zeiten, wollte sie nicht sparen, sondern genug verlässliche Leute finden, die für sie arbeiteten.
    Ein oder zwei Jahre würde es mit etwas Glück dauern, bis das Amt einen neuen Meister in der Backstube forderte. Vielleicht sogar ein weiteres Jahr, alle wussten, unter welchen Umständen die Hofmännin zum zweiten Mal Witwe geworden war, und wollten Mitgefühl zeigen. Vielleicht konnte auch Monsieur Herrmanns helfen, der war einflussreich und überall gern gesehen, die Amtsmeister hörten sicher auf ihn. Erst recht, wenn er demnächst Senator wurde.
    Sie legte das Handtuch neben die Schüssel, strich energisch über die Schürze, und ihr rundes, weiches Mädchengesicht bekam etwas Kantiges. Hatte sie nicht alles gelernt, was ein Meister wie ihr Vater konnte? Sie war nur nicht gewandert, wie es für Gesellen und zukünftige Meister Pflicht war. Aber mit dem in allen Erfordernissen erfahrenen Altgesellen Ludwig und ihrer Mutter war es für sie ein Leichtes, Backstube und Laden weiterzuführen. Und später – später würde man sehen.
    «Molly, hörst du nicht?» Elwas breite Hand legte sich fest auf ihre Schulter. «Oder schläfst du im Stehen? Is’ ja kein Wunder nach den letzten Tagen und wo du davor schon halbe Nächte in der Backstube rumgewerkelt hast.»
    «Ach, Elwa, ich war nur in Gedanken, mir geht es gut. Jedenfalls so gut, wie es zurzeit gehen kann.»
    Der Mund der Magd verzog sich zu einem grimmigen Lächeln. «Gehen kann, jaja, aber der Mensch braucht auch Schlaf, Molleken, sogar wenn er jung und tüchtig ist. Kommen noch harte Zeiten, das weißt du.»
    «Es wird auch wieder besser, Elwa.» Beide wussten, dass sie in Floskeln redeten. Gerdi und Marius hörten zu, warfen sich einen wissenden Blick zu und beugten sich wieder über ihre Arbeit.
    «Sie hat gelacht», fuhr Molly leise fort, «das war schön.»
    Elwa nickte. «Ein bisschen haben wir sie dazu gekriegt, für ’n Moment. Aber nu’ lacht sie nicht mehr. Der Weddemeister ist nämlich wieder da, der blöde Kerl, der fragt ihr noch ’n Loch in den Bauch. Nun komm endlich, du wirst da gebraucht.»
     
    R osina fühlte sich wohl. Sie saß auf der Bank zwischen Helena und Gesine, wie sie es jahrelang gewöhnt gewesen war. Gesine war wie stets mit einer Näharbeit beschäftigt, heute stichelte sie etwas aus seidigen roten und gelben Streifen, billig aufgetriebenen Stoffresten, um daraus einen verwegenen Kopfputz für ein besonders freches Couplet zu machen. Helenas Hände lagen ausnahmsweise ruhig im Schoß, sie umschlossen den weichen Pompadour aus feinem rotem Ziegenleder.
    Aus dem Gebäude in ihrem Rücken, dem schon seit Jahrzehnten als Theater für durchreisende Gesellschaften genutzten ehemaligen Dragonerstall, klangen ungleichmäßige Hammerschläge, zumeist von einem kleinen Hammer, dazwischen feine Sägegeräusche, ab und zu ein unterdrückter Fluch. Rudolf, Fritz und Titus bauten weiter an der neuen Theatermaschinerie. Es war bald geschafft und ging nun um das obere Flugwerk, dessen Stabilität über Leben und Tod entscheiden konnte. Eine diffizile Angelegenheit, die keine Störung durch weibliche Ratschläge erlaubte. Was den Frauen sehr recht war. Sollten die drei sich nur allein herumärgern, sie hatten genug anderes zu tun.
    Nur Rosina machte sich Sorgen um Fritz’ Finger. Wenn ein Hammer darauf landete oder ein Sägeblatt hindurchfuhr, war es für geraume Zeit mit dem Flötenspiel vorbei, falls er sich einen Knochen verletzte, womöglich ganz. Schmerzlich für Fritz, übel für die Kasse, weil dann ein anderer Musiker engagiert werden musste.
    Sie blinzelte in das helle

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