Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Nacht des Schierlings

Die Nacht des Schierlings

Titel: Die Nacht des Schierlings Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Petra Oelker
Vom Netzwerk:
Militärs auf zwei Kompanien, über einen neuen Weinhändler in der Deichstraße, endlich über das Übermaß von Annoncen für alle möglichen Wunderpulver im Hamburgischen Correspondenten , sogar ein Londoner Chymist pries dieser Tage sein sicheres Mittel gegen schweres Blutspeien an.
    Je weiter der Abend fortschritt, umso alberner und kleingeistiger kam es ihr vor, dass sie jenen drei Minuten in der Ankleidekammer Bedeutung beimaß. Zugleich fühlte sie eine graue Beklommenheit, als werfe etwas einen Schatten auf sie.
    Etwas? Das war lächerlich, dumme Spökenkiekerei. Es hatte sie Überwindung gekostet, noch einmal zu fragen, später, als sie für den Abschluss des Abends allein im kleinen Salon saßen. Er war über den Hamburgischen Correspondenten gebeugt, sie über einen Brief an ihren Bruder auf Jersey, der allerdings nicht vorangehen wollte. Sie hatte versucht, einen Scherz aus ihrer Unruhe zu machen, leider vergeblich.
    «Du weißt ja, was für eine treusorgende, fleißige Hausfrau ich bin», hatte sie begonnen und auf sein Schmunzeln gewartet – die ganze Stadt wusste, dass Anne Herrmanns sich auf die Usancen des Handels verstand, dafür wenig von der Führung eines großen Haushaltes wusste und auch keinerlei Neigung dazu hatte. Zum Glück wurde das zur allseitigen Zufriedenheit von der unvergleichlichen Köchin und Wirtschafterin Elsbeth im Verein mit Tante Augusta erledigt.
    Er hatte von seiner Zeitung aufgeblickt – ohne Schmunzeln. «Du fragst nicht wieder nach diesem Rock, nicht wahr?», hatte er gefragt und eher angestrengt als spaßhaft geklungen.
    «Nun, wenn du es schon sagst: Doch, Claes, genau danach wollte ich fragen. Es ist wirklich ein großes Loch und nur mit einem Stück des gleichen Stoffs passabel zu reparieren. Das ist mir einerlei, es ist dein Rock, und du hast noch andere. Wenn du nicht möchtest, dass er wieder manierlich aussieht …» Sie hörte ihre Stimme schroff werden und konnte es nicht ändern. «Sicher kann Valerie das Loch stopfen und einen neuen Knopf annähen. Allerdings fürchte ich, von dieser Sorte mit der Familieninitiale ist keiner mehr da. Wenn du möchtest, gebe ich beim Goldschmied neue in Auftrag. Ich denke – ach, Claes. Mach es mir doch nicht so schwer. Ich bin nur verwirrt, weil du so streng verhindert hast, dass ich Frederking den Rock gab. Oder nur zeigte? Und weil ich nicht weiß, was passiert ist. Versteh doch: Ich sorge mich. Der Riss, nein, das Loch sieht aus, als wärst du in eine Rauferei geraten, und das ist noch nie passiert, solange ich dich kenne. Deshalb kann ich mir nur vorstellen, jemand hat versucht, dich zu überfallen, auszurauben, was weiß ich?, und du hast dich losgerissen. Wenn es so war, warum hast du es nicht erzählt?»
    Endlich ließ er die Zeitung ganz sinken, faltete sie und legte sie auf den Tisch. «Ja, du hast wohl recht. Ich wollte dich nicht beunruhigen, und nun habe ich dich umso mehr beunruhigt. Das tut mir leid.» Er nahm einen Schluck Sherry und griff nach der langstieligen weißtönernen Pfeife, die beim Tabakstopf auf dem Rauchtisch lag und auf ihren Einsatz wartete. «Es stimmt, ich bin auf dem Heimweg von den Büschs das erste Stück ohne Laternenträger gegangen, es war einfach keiner verfügbar, erst bei der Börse habe ich einen bekommen», er lachte leise, «sogar zwei, ich habe beide engagiert. Denn vorher, irgendwo am Burstah, da war einer, der was von mir wollte. Ich habe ihn in die Flucht gebrüllt, mit den Fäusten bin ich ja nicht so versiert. Er hat sich noch am Rock festgehalten. Sicher hat er gesehen, dass es gute Silberknöpfe sind, und sich wenigstens den einen abgerissen und mitgenommen.»
    «Aber warum hast du mir nicht davon erzählt?»
    «Als ich heimkam, hast du schon geschlafen, Liebste, es war ja sehr spät, und am nächsten Morgen war es schon nicht mehr der Rede wert. Ich habe es – vergessen. Ja, das kann man sagen. Ach, ich wollte es auch vergessen. Ein unerfreuliches Erlebnis. Deshalb lass Valerie den ramponierten Rock notdürftig flicken, und dann gib ihn weg. Ich mag ihn nicht mehr tragen.»
    Damit hatte sie sich zufriedengegeben. Warum schlief sie dann nicht in der warmen Sicherheit an seiner Seite, in seinem Arm? So wie sonst? Weil sie noch immer nicht verstand, warum er ein zerrissenes Kleidungsstück bei den Holzkörben und der Truhe in der Diele gelassen hatte. Und warum der Schneider es nicht sehen sollte.
    Vielleicht sollte sie sich Augusta anvertrauen. Klug, humorvoll und mit

Weitere Kostenlose Bücher