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Die Nacht des Schierlings

Die Nacht des Schierlings

Titel: Die Nacht des Schierlings Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Petra Oelker
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unabhängigem Blick auf die Welt, war sie immer eine gute Ratgeberin. Sie verstand es, die richtigen Fragen zu stellen, fertige Antworten gab sie selten. Augusta hätte es vehement abgestritten, doch sie zog unauffällig und behutsam die Fäden, nicht nur im Haus am Neuen Wandrahm, und löste hier einen Konflikt, glättete dort sich aufbauende Wogen. Im Notfall doch mal mit der Faust auf dem Tisch oder in Fällen einer ernsthaften Krise mit ihrer bewährten Geheimwaffe, einem Schluck ihres Rosmarienbranntweins.
    Der Stundenruf des Nachtwächters schreckte Anne auf – sie würde nie verstehen, warum die Bürger sich diesen stündlichen Lärm gefallen ließen. Sie schloss rasch das Fenster. Wenn der Wächter auch nicht direkt darunter vorbeigehen konnte, trug seine Stimme weit genug, Claes zu wecken. Erst jetzt spürte sie, wie kalt es war, sie schlüpfte unter die Decke und schmiegte sich in seine Wärme. Ein Rest des Schattens glitt dennoch mit in ihren Schlaf.

KAPITEL 7
    A ls sich herumgesprochen hatte, bei Bruno Hofmanns Tod sei nicht alles mit rechten Dingen zugegangen, hörten die Kondolenzbesuche schlagartig auf. Dafür gab nun ein Kunde dem anderen die Türklinke in die Hand, auch Leute, die nie zuvor zur Kundschaft der Runges oder der Hofmanns gehört hatten, mussten unbedingt probieren, was es hier zu kaufen gab. Wer gehofft hatte, die gramgebeugte Witwe Hofmann oder Molly Runge, die einstige Stieftochter, hinter dem Ladentisch anzutreffen, wurde enttäuscht. Beide hatten keinerlei Neigung, sich der Neugier fremder Leute auszusetzen. Im Laden stand an diesem Tag Klärchen Weber, eine junge Frau aus der Nachbarschaft, die hin und wieder aushalf, für gewöhnlich, wenn besonders viel in der Backstube und am großen Herd zu tun war. Molly konnte sich nicht erinnern, wann die Flügeltür zwischen Laden und Backstube zum letzten Mal ganz geschlossen gewesen war, heute hatte sie sie selbst zugeschoben. Die Scharniere hatten gequietscht, zwischen beiden Flügeln klaffte eine bescheidene Lücke, aber sie schützten genug vor den neugierigen Augen.
    Molly hatte immer gerne im Laden bedient, denn sie hatte es nie als dienen empfunden. Sie war stolz auf das, was in der Backstube produziert wurde, verkaufte es mit frohem Selbstbewusstsein und genoss das Lob, das sie ab und zu bekam. Natürlich gab es Kunden, die alles besser wussten, die empfahlen, hier eine andere Zuckersorte zu verwenden, dort lieber Zitronat als das Orangeat von bitterlichen Pomeranzen, die das verwendete Mehl als zu fein oder als zu dunkel bekrittelten, den Ingwer als zu scharf oder die Makronen als zu wenig kross. Das konnte sie nicht kränken, so waren Menschen nun einmal, im Übrigen kam es selten vor.
    «Das liegt nur an dir, kleine Jungfer», hatte Bruno Hofmann gesagt, wenige Monate nachdem er der zweite Ehemann ihrer Mutter und der Meister der Backstube geworden war. «Die Leute sehen dein einladendes Lächeln, deine ganze saubere Person, und gleich ist für sie alles, was wir verkaufen, doppelt appetitlich. Wer sollte da noch Beschwerden haben?»
    So hatte er entschieden, dass sie häufiger als früher statt ihrer Mutter im Laden stand, Magda Hofmann hatte nicht widersprochen.
    Er hatte Molly dabei die Hand auf die Schulter gelegt und seinen Daumen am Blusenausschnitt über ihre nackte Haut streichen lassen, was sie unangenehm gefunden, aber für ein freundliches Bemühen gehalten hatte. Er war ihr Stiefvater und hatte wohl nicht beachtet, dass sie längst erwachsen war. Bald verstand sie, dass er gerade das sehr wohl beachtet hatte.
    Am liebsten hätte sie nur in der Backstube gearbeitet, das bereitete ihr bei aller Anstrengung die größte Freude, aber Hofmanns Entscheidungen war, als den Anordnungen des Meisters, zu folgen. Zudem war sie ihm auf diese Weise nicht ständig nah.
    Eines gestand sie jedoch bereitwillig zu: Die neue Ausstattung des Verkaufsraumes, die der Meister gleich nach seinem Einzug hatte machen lassen, war schön und einladend. Sie hatte es ihm zunächst verübelt, als er die alten Regale, den Tisch, die längst wackelige Vitrine durch elegantes, weißgestrichenes neues Mobiliar ersetzte, nichts war zusammengewürfelt oder, wie es üblich war, auf Auktionen ersteigert. Bruno Hofmann hatte den Tischler den Raum akkurat ausmessen lassen und die Ausstattung des ganzen Raumes in Auftrag gegeben, jedes Stück dem anderen angepasst. Der Laden glich nun beinahe einem Salon und zog neben dem alten Publikum neues an,

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