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Die Nacht des Schierlings

Die Nacht des Schierlings

Titel: Die Nacht des Schierlings Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Petra Oelker
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immer noch, Rosina fröstelte plötzlich trotzdem. «Ich habe gehört, Muto hat sich ihretwegen sogar geprügelt. In der letzten Woche im Bremer Schlüssel . Stimmt das? Er ist doch keiner, der sich einfach so prügelt.»
    Helena blickte strikt geradeaus, Gesine stichelte konzentriert. «Nein, er ist ganz gewiss kein Schläger», sagte Helena endlich. «Das ist er auch nicht geworden, seit du nicht mehr mit uns fährst. Ich weiß genau, welche Prügelei du meinst, es war gar keine richtige, nur ein paar Schubser hin und her. Ja, ich weiß, der Kerl, der sich da an Florinde rangemacht hat, ist jetzt tot. Und?» Sie blickte Rosina wütend an. «Und? Sag schon: Was willst du hören?»
    «Hören? Gar nichts? Oder doch. Natürlich, sonst hätte ich nicht gefragt. Ich will die Wahrheit hören. Ganz einfach. Wie immer. Ich weiß nur nicht, warum du plötzlich so wütend auf mich bist. Weil ich mit Wagner gesprochen habe?»
    «Mit dem Weddemeister Wagner. Er hat Muto im Verdacht.»
    «Das weiß ich nicht. Er hat von der Auseinandersetzung gehört, und dann muss er Fragen stellen. Du kennst ihn gut genug, um zu wissen, wie pflichtbewusst er ist und dass ihm ein solcher Verdacht gegen Muto gerade deshalb kein Vergnügen bereitet. Er ist unser Freund, Helena, aber er hat auch ein Amt. Ich hingegen – ich habe kein Amt und bin in jedem Fall auf Mutos Seite. Ich glaube auch nicht, dass er jemand töten kann, aber so etwas passiert manchmal, ohne dass man es will. Nein, Helena, sei jetzt mal ruhig. Wagner sagt, Titus habe Muto ein Alibi gegeben …»
    «Alibi?», fragte Gesine. «Was ist das?»
    «Titus’ Versicherung, dass Muto die ganze Nacht in ihrem gemeinsamen Zimmer bei der Krögerin war. Er hat also bezeugt, wo Muto war, und zwar nicht dort, wo der Mann getötet worden ist. Ob Wagner es glaubt oder nicht, er möchte es glauben, obwohl er weiß, wie fadenscheinig dieses Zeugnis unter Freunden ist. Ich glaube es wirklich. Aber – verdammt – ich sorge mich trotzdem.» Rosina beugte sich vor und blickte sich um, immer noch war viel Volk unterwegs, doch niemand hockte oder stand in ihrer Nähe, so fuhr sie fort, allerdings mit gedämpfter Stimme. «Jemand hat den Konfektbäcker getötet, und Wagner will und muss den Mörder finden. Wenn es in der Stadt erst heißt, der fahrende Akrobat hat’s getan, dann – was dann passiert, muss ich nicht erläutern. Ich will überhaupt nicht daran denken, wie es war, als Jean als Mörder verdächtigt hier im Kerker saß. Wir können nur hoffen, dass dieser Hofmann einen ganzen Strauß anderer Feinde gehabt hat und ihn nicht irgendjemand aus Zufall ins Fleet gedrückt hat. Einfach, weil er gerade da war oder mit ihm dort an der Brücke in Streit geriet. Betrunkene unter sich, das kommt alle Tage vor und kann böse enden. Das wäre jetzt doppelt furchtbar. Die Stadt will einen Mörder mit Gesicht und Namen. Einen, den sie am Galgen sehen kann, und ich will nicht, dass sie sich Muto aussuchen. Wenn das geschieht, kann uns auch Wagner nicht mehr helfen. Es sei denn, er findet den wirklichen Täter. Also sei nicht wütend auf mich, sei wütend auf – ach, von mir aus auf das Schicksal oder auf die Wolke, die sich gerade vor die Sonne schiebt. Lass uns lieber herausfinden, was passiert ist. Und jetzt erzählt mir von Florinde. Wo kommt sie her, und warum, um Himmels willen, hast du zugelassen, dass ihr sie engagiert? Dir macht keine was vor, Helena, und du warst ja nicht blind. Oder hat sich das geändert?»
    «Blind? Wer ist hier blind?» Titus stand vor den drei Frauen und sah breit grinsend auf sie hinunter. Auf der Bühne war er Harlekin, Hanswurst, komisches Hänschen, fröhlicher oder melancholischer Tölpel, jede Art von Spaßmacher, die gerade gebraucht wurde, und zwar mindestens in der dritten Generation, weiter konnte er seine aus Italien eingewanderte Familie nicht zurückverfolgen. Auch war er ein fabelhafter Jongleur. Wie Rudolf und Gesine gehörte er seit vielen Jahren zur Becker’schen Komödiantengesellschaft wie ein Kern zum Apfel. «Was steckt ihr die Köpfe so zusammen, ihr Schwatzelsen? Ich sehe, ihr bemüht euch um Diskretion, man hört euch trotzdem.»
    Er schob einen Hackklotz, der nahe der Pumpe stand, heran und setzte sich. Rosina fand, er sah müde aus, wäre er nicht ein so völlig runder Mann, hätte sie sich für «verhärmt» entschieden. Er war immer ein Melancholiker gewesen, aber nun – vielleicht gefiel ihm so wenig wie Helena die Aussicht, für längere

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